10 Jahre SuH ‒ Teil 2:
Schicksal und Herausforderung entsteht
Für Marco stellte das Zerbrechen des Teams von Verantwortung für Kinder einen schlimmen Verlust dar: „Dieses relativ unerwartete Ende stürzte mich zunächst in ein tiefes Loch, denn ich hatte in den vergangenen eineinhalb Jahren unheimlich viel Herzblut in das Projekt gesteckt. Hinzu kam, dass ich nun keine Internetpräsenz mehr hatte, auf der ich meine Texte zur Pädophilen-Selbsthilfe präsentieren konnte.“ Doch dann hatte er Glück im Unglück, wie er sagt:
„Während meiner Zeit bei Verantwortung für Kinder hatte ich einen neuen Unterstützerkreis gefunden. Ich stand in regelmäßigem Kontakt mit dem damaligen Team der (inzwischen wieder aufgelösten) Kinderschutz-Initiative von onlinepetitionen.de. Mit zwei der InitiatorInnen, Christa und Bettina, freundete ich mich auch privat an, da wir ‒ wie sich bald herausstellte ‒ ähnliche Vorstellungen vom Kinderschutz und zum Umgang mit der radikalen Pädosexualisten-Szene hatten.“
Zu Christa entstand auf dieser Basis eine langjährige Freundschaft, die bis heute hält. Schon während der Zeit von Verantwortung für Kinder lud sie Marco erstmals zu sich nach Hause ein. Im Sommer 2006 dann folgte eine Einladung auf ein Schulfest durch Christa, die als Lehrerin arbeitet. Für Marco war das der „so ziemlich […] größte Vertrauensbeweis, den ich als pädophiler Mensch je bekam.“ Umso mehr fühlte er sich darin bestärkt, den eingeschlagenen Weg auch nach dem Ende von Verantwortung für Kinder fortzuführen.
Die Frage war nur: Wie sollte das gehen? Selbst hatte Marco nicht das technische Know-how, um eine Webseite zu betreiben. Doch dann kam das entscheidende Hilfsangebot von Christa: „Sie vermittelte mir den Kontakt zu Michael Welslau (heute im Vorstand des Regenbogenwald e.V.), der sich mit seiner damaligen Firma MW-Internet bereit erklärte, für mich eine Domain anzumieten und die neue Homepage zu hosten. Christas Freundin Bettina (ebenfalls im Team von Onlinepetitionen) arbeitete beruflich in der IT-Branche und war in der Lage, mir eine eigene kleine Homepage zu erstellen. Diese Homepage basierte auf einem einfach zu bedienenden Content Management System (CMS), das ich schnell erlernen und mit meinen eigenen Texten füllen konnte.“
Dank der umfassenden Hilfe von Christa, Bettina und Michael war es möglich, dass Marco im September 2006 mit seiner eigenen Webseite „Schicksal und Herausforderung“ online gehen konnte ‒ nur wenige Wochen nach dem unerwarteten Ende von Verantwortung für Kinder. Damit konnte er die zuvor begonnene Arbeit fast lückenlos fortsetzen. Die Zielsetzung war nach wie vor die gleiche: Es ging um einen verantwortungsvollen Umgang mit der pädophilen Ausrichtung. Im Mittelpunkt stand nach wie vor der Grundsatz vom absoluten Verzicht auf sexuelle Kontakte mit Kindern.
Als einen Höhepunkt der ersten Jahre bezeichnet Marco heute seinen ersten (und einzigen) komplett öffentlichen Auftritt unter diesem Pseudonym. Nach etwas mehr als einem Jahr Betrieb von SuH traf er sich im November 2007 mit Stephan Doetsch und dessen Frau in Berlin zum Besuch einer Veranstaltung in der Urania. Manfred Karremann und Jürgen Lemke hatten unter dem Thema „Pädophilie und Gewalt – wie wir unsere Kinder schützen“ zu Vortrag und Diskussion geladen. Die Vorträge erlebte er als sehr kraftvoll und die anschließende Diskussion als lebendig. Im weiteren Verlauf trat auch Stephan auf die Bühne und sprach vor dem Saal über sein Bild eines verantwortungsvollen Lebens mit einer Pädophilie, die Notwendigkeit von Gesetzen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausnutzung und über seine persönlichen Erfahrungen. Außerdem hob er einen heute noch drängend aktuellen Punkt hervor, nämlich die Wichtigkeit einer breiten Aufklärung der Bevölkerung insgesamt über Pädophilie und sexuellen Missbrauch. Hinter diesem Ziel steht SuH bis heute denn, wie schon damals klar war: Nur so ist eine umfassende Prävention sexueller Übergriffe sowie auch negativer Folgen der Stigmatisierung von Pädophilen möglich.
Für Marco war das ein Meilenstein: aus reinen Onlinediskussionen war etwas Reales geworden, eine Diskussion live und von Angesicht zu Angesicht mit echten Menschen. Im Detail kann man Marcos Bericht auf SuH im Archiv nachlesen.
Einen Tiefpunkt dagegen stellte ein Hackerangriff im Oktober 2008 dar. Der Server, auf dem SuH damals lag, wurde gehackt und so gründlich zerstört, dass die Seite nicht wiederherstellbar war. Mit der Hilfe eines anderen engagierten pädophilen Mannes namens „Jay-Jay“ gelang es aus den übriggebliebenen Daten und Marcos Texten eine neue behelfsmäßige Seite zusammenzuflicken. Das einzige, was unbeschädigt blieb: das Gästebuch. Es lag im ursprünglichen Design der Webseite noch auf einem anderen Server und war dadurch nicht von dem Angriff betroffen.
Mitstreiter der ersten Generation
Bisher war hauptsächlich von Marco die Rede. Aber auch Stephan Doetsch war nach dem Aus von Verantwortung für Kinder weiterhin aktiv, wie die Begebenheit an der Urania zeigt. Auch im Gästebuch von SuH war von ihm zu lesen. Eine zeitlang hatte er sogar ebenfalls seine eigene Webseite kindern-eine-chance.de betrieben.
Andere Aktive dieser Zeit, die sich unter anderem im Gästebuch verewigt haben, waren auch Jay-Jay, Pantalaimon und Gabriel. Jay-Jay hat auch in der Rubrik Pädo-Erfahrungen bleibende Spuren auf SuH hinterlassen (Siehe „Mein Leben mit der Pädophilie“ und „Was hat mir die Therapie gebracht?“). Wie eben schon erwähnt half er Marco außerdem mit seinen HTML-Kenntnissen, bei der Rekonstruktion von SuH nach dem Hackerangriff. 2009 hat er unter dem Pseudonym „Jay-Jay Boucher“ ein Buch über seine Pädophilie und seine Gedanken dazu veröffentlicht („Schatten - haben keine Farben“, erhältlich bei Lulu.com).
Außer Stephan Doetsch und Marco brachte sich auch Pantalaimon 2008 mit einer eigenen Plattform ein. Seine Webseite paedophilie.info verfügte nach Verantwortung für Kinder sogar über ein neues Forum. Leider hielt es sich nur kurze Zeit und machte Ende 2008 schon wieder dicht. Pantalaimon ist im Gästebuch unserer Webseite wiederholt vertreten und stand mit Marco noch lange in telefonischem Kontakt.
Gabriel hat sich am längsten in Gästebuch und auch mit eigenen Texten auf SuH eingebracht. Seine Gedanken zur Liebe sind zum Beispiel unter den Pädo-Erfahrungen zu nennen. Davor war er als Moderator bei paedophilie.info aktiv. 2009 und 2010 gab es sogar zwei persönliche Treffen mit Marco, eines davon auch mit NewMan und Max.
Zu Stephan Doetsch, „Mami mit Herz“, Jay-Jay, Pantalaimon und Gabriel besteht heute leider kein Kontakt mehr. Das Team würde sich sehr freuen von ihnen wieder ein Lebenszeichen zu hören. Vielleicht kann dieser Text ja dazu anregen.
Seltener im Gästebuch zu sehen aber im Hintergrund immer in Kontakt geblieben ist Jonas, dessen schwer zu ertragender aber sehr nachdenklich stimmender Bericht über seine Entwicklung bis zum wiederholten Missbrauch zweier Jungen zu einem wertvollen Teil der Texte auf SuH geworden ist. Seine Haftstrafe hat er mittlerweile abgesessen und ist heute dabei, in der Freiheit wieder Fuß zu fassen.
Es wird immer aktiver
Nach dem Hackerangriff auf SuH flickten Marco und Jay-Jay die Seite behelfsmäßig wieder zusammen. Als sie Anfang 2009 wieder online ging hatte sie ein sehr einfaches Design in knalligem Hellblau. Zu dieser Zeit stieß Max erstmals auf die Webseite: „In der Therapie bei Kein Täter werden [KTW] gab man uns einmal einen Text von Marco, die ‚15 Grundsätze‘, den wir dann in der nächsten Gruppensitzung diskutiert haben. Während der Therapie bin ich seltsamerweise gar nicht auf die Idee gekommen, die unten auf der Kopie angegebene Quelle www.verantwortung-fuer-kinder.de aufzusuchen. Das finde ich sehr schade, denn so habe ich diese Phase und alles, was Marco, Stephan und Mami mit Herz bis dahin aufgebaut hatten, komplett verpasst. 2009 stieß ich nur noch auf eine leere Seite auf der noch der Titel stand mit einem Hinweis auf Schicksal-und-Herausforderung.de. Dort las ich eine Weile und verewigte mich bei einem der ersten Besuche erstmals im Gästebuch.“
Anfang 2009, 2 Jahre nach Ende seiner Therapie, war für Max der Zeitpunkt, als sich für ihn sein Leben wieder gesund und lebenswert anfühlte: „Ich hatte endlich das Gefühl wieder Boden unter den Füßen zu haben und mit meiner pädophilen Neigung leben zu können. Das bewirkte in mir ein Gefühl von: ‚Schön, du hast es also echt geschafft! – Und was jetzt?’ Der Trubel, der mit der Selbsterkenntnis begonnen hatte, war endlich vorbei und ich fühlte mich wieder wohl in meiner Haut. Aber ich wollte auch etwas tun. Ich hatte das Bedürfnis von dem Erlebten zu erzählen und etwas weiterzugeben. Was ich in den letzten Jahren erlebt hatte schien mir zu viel für einen Kopf und ein Herz, als ob ich platzen würde. Da ich mich echt in die Pädo-Erfahrungen auf Marcos Seite verguckt hatte, schrieb ich auch einen persönlichen ‚Glücksmoment‘ auf und schickte ihn an Marco.“ Daraus wurde eine gewisse Zusammenarbeit, in der sich Max immer mehr im Gästebuch betätigte und ein paar weitere Texte für SuH schrieb.
Im Februar 2009 bekam die Webseite auch ein neues Gesicht: Marco investierte eine gehörige Summe in eine professionelle Überarbeitung des Layouts. Seither hat die Seite das heutige Design. Ein zweites Facelifting zwecks Modernisierung des Designs, Aktualisierung des technischen Unterbaus und Umstellung auf neue Aufgaben ist im Moment in Arbeit. Hier zwei Screenshots dazu:
Wenige Tage nach Max stieß NewMan auf SuH. Mitte der 2000er Jahre hatte sein Konsum von Missbrauchsdokumenten in eine Hausdurchsuchung gemündet, die ihn dazu brachte, sich mit seiner sexuellen Veranlagung mehr und mehr auseinanderzusetzen. Am Ende wurde das Verfahren gegen die Zahlung einer hohen Geldstrafe eingestellt.
Bis dahin konnte er allerdings wegen des laufenden Verfahrens nicht an der Therapie bei KTW teilnehmen. So musste NewMan sich derweil selbst helfen. Er erzählt: „Ich kappte den Internetzugang bei mir zuhause für ein Jahr. Ins Netz ging ich nur über den Rechner meiner Eltern. In dieser Zeit begann ich Webseiten von Missbrauchsopfern zu besuchen und mich überhaupt erstmalig mit den möglichen Folgen von sexuellem Kindesmissbrauch auseinanderzusetzen. Eines Tages habe ich dann angefangen, mich im Internet intensiver mit dem Thema ‚Pädophilie’ zu beschäftigen.“ Dabei stieß er auf die Ausgabe der ZDF-Talkshow ‚Johannes B. Kerner’, in der Norbert Denef und Professor Beier zu Gast waren. Die Diskussion hinterließ bleibenden Eindruck bei NewMan: „Von den Erlebnissen von Herrn Denef als Missbrauchsopfer war ich tief betroffen und bewegt. Umso mehr erschütterten mich einige seiner teils unlogischen Aussagen über das Präventionsprojekt Dunkelfeld. Zum Beispiel seine Haltung, man solle doch kein Geld für Pädophile ausgeben, sondern es doch besser dafür verwenden, dass Missbrauchsopfer auch einmal Urlaub machen können oder so. Auch die Reaktionen des Publikums auf Aussagen von Professor Beier bzw. von Herrn Denef fand ich teilweise erschreckend und unsachlich.“ In dieser Zeit wurde „NewMan“ geboren. Er wollte über das Thema Pädophilie informieren und Irrtümer ausräumen. Wie wichtig richtige Information auch für den richtigen Umgang mit Missbrauchsopfern, Pädophilen, doppelt Betroffenen, deren Angehörigen und überhaupt für die gesamte Gesellschaft ist, wurde ihm erst später bewusst. Rückblickend sagt er: „Ich habe damals die maximale Emotionalität dieses Themenkomplexes völlig unterschätzt. Und somit das Bedürfnis der Menschen, sich am liebsten gar nicht erst damit auseinanderzusetzen.“
Zwischenzeitlich konnte NewMan seine Therapie beginnen. Dort erfuhr er von Pantalaimons Forum. Leider kam er zu spät und bekam so nur noch das Ende des Forums mit. Dafür fand er eines Tages im Februar 2009 Marcos Webseite. Er erzählt: „Ich habe auf dieser Seite einiges gelesen, fand viele Übereinstimmungen mit meinen Sichtweisen und hinterließ erste Gästebucheinträge. Auch wenn unsere Meinungen über die Arbeiten des Herren Karremann durchaus differierten.“
Eines Tages begann NewMan eine Diskussion bei hilferuf.de. Die Grundfrage des Threads war, wie man mit seiner Sexualität in Einklang leben kann. Gleich zu Beginn schaltete sich auch ein GLF-User namens Ovid ein. Eine mehrere Tage dauernde sehr interessante aber auch anstrengende Debatte begann, die immer mehr Leser und Teilnehmer anzog. Als NewMan SuH verlinkte wurde Marco auf die Diskussion aufmerksam und bot ihm seine Hilfe an, die dieser gerne annahm. Und auch Gabriel gesellte sich noch hinzu. Leider brach die Diskussion abrupt ab, als sich die Moderatoren genötigt sahen, den Thread offline zu stellen. Eine Moderatorin teilte ihm den Grund mit: „GLF-User hatten wohl vor, die Diskussion zu kopieren und für eigene Zwecke zu verwenden. Das wollten die Moderatoren dieses Forums verhindern. Schade drum. Bis dahin hatten die Moderatoren von hilferuf.de aber einen sehr guten Job gemacht.“
Dieses Abenteuer hatte aber auch einiges Gutes: Es wurden Menschen erreicht und zum Nachdenken angeregt. Außerdem war NewMan so mit Marco und Gabriel in Kontakt gekommen und beteiligte sich seither recht intensiv am Gästebuch. Für die Rubrik Pädo-Erfahrungen schrieb er unter anderem den Erlebnisbericht „Meine Feuerprobe“.
Ein paar Monate darauf wandten sich Marco und Gabriel mit der Frage an NewMan, ob er sich an einem Kunstprojekt beteiligen wolle, an dem sie beide auch teilnahmen: „Dieses Projekt wurde von der Künstlerin Cony Theis aus Bonn ins Leben gerufen und trug den Namen ‚Sinn’. In diesem Projekt wurden Texte von uns verwendet, sowie von der Künstlerin gemalte Bilder, deren Vorlagen Kinderfotos von uns waren.“
Leider kam damals nur ein sehr schönes Treffen mit Gabriel und Frau Theis zustande. Ein größeres persönliches Treffen von Marco, NewMan, Gabriel und Max gelang aber im Folgejahr 2010 anlässlich einer Aufführung des Theaterstücks „Geschichten von hier II – Kapitulation“ am Deutschen Theater in Berlin. „Marco fragte mich an, ob ich dieses Projekt übernehmen möchte“, berichtet NewMan. „Hierzu wurde ich zwei Stunden lang interviewt. Dieses Interview war dann die Grundlage für den Part des pädophilen Mannes in diesem Stück. Circa zwanzig Minuten Monolog auf ansonsten leerer, dunkler Bühne, vorgetragen von Alexander Khuon – mit Gänsehautgarantie.“ Nach der Vorstellung traf man sich noch zu fünft mit Meike Schmitz, der Dramaturgin des Stücks, im ‚Emil’ neben dem Theater auf ein Glas Bier und es entwickelte sich ein langes, sehr interessantes Gespräch.
Ab 2009 nahm die Entwicklung von SuH ordentlich an Fahrt auf. Das Gästebuch brummte, es kamen vermehrt Anfragen von Medienvertretern und es gingen einige Pädo-Erfahrungen bei Marco ein.
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So hätte es weitergehen können und es ist wahrscheinlich, dass das viele Leser zu dieser Zeit annahmen. Im Grunde war SuH aber nie als Dauerprojekt gedacht gewesen und daher drohte dieser Plattform nach fast 5 Jahren ebenfalls ein Aus. Der schicksalhafte März 2011 läutete eine beispiellose Wende ein. Dazu demnächst mehr.