Was hat mir die Therapie gebracht?
von Jay-Jay
Nun im Februar 2006 war ich ziemlich suizidal und hatte keine Lebensperspektive mehr. Ich lebte eigentlich nur noch, weil ich Antidepressiva nahm und versprochen hatte, am Leben zu bleiben, bis die Therapie in Berlin absolviert ist, um dann zu entscheiden, ob ich wieder am Leben teilnehmen möchte oder nicht.
Ich litt sehr unter meiner pädophilen Neigung und sah keinen Ausweg aus dieser Situation. Ich fühlte mich schlecht und schuldbeladen. Ich mochte nicht auf die Straße gehen, weil ich der Ansicht war, jeder könne mir allein durch mein Verhalten ansehen, wie ich fühle und denke. Ich hatte bestimmte Ängste der Polizei gegenüber entwickelt. Immer wenn ich eine Streife sah, egal ob zu Fuß oder im Auto, hatte ich die Angst, gleich werde ich verhaftet und intensiv wegen meiner Neigung verhört. Insbesondere wenn wieder ein Kindesmissbrauch irgendwo auf der Welt stattgefunden hat. Wenn ich Kindern begegnete, so ging ich ihnen aus dem Weg. Vorzugsweise nahm ich zum Beispiel lieber ein oder zwei Bahnen später, sollte sich erweisen, dass die zuvor gewählte mit Schulkindern übervoll belegt war. Konnte ich davon ausgehen, Kindern unmittelbar auf meiner Straßenseite begegnen zu müssen, zog ich es vor, die Straßenseite zu wechseln. Örtlichkeiten, die stark von Kindern frequentiert waren, mied ich konsequent. Ich hielt mich für zwanghaft wegen meinen häufig betriebenen Selbstbefriedigungen, für konspirativ, weil ich der Welt eine Scharade vorspielte, um von meiner Neigung abzulenken und konnte mit meiner schmutzigen Fantasie kaum umgehen.
Inzwischen kann ich Kindern wieder fast normal begegnen. Ich erlebe sogar schon einige Situatio-nen, in denen Kinder ganz in meiner Nähe waren, als angenehm. Trotzdem fühle ich mich nicht gedrängt, mich ihnen auf eine Art zu nähern, die einen Missbrauch fördern würde. Ich denke dabei besonders daran, wenn ein Mädchen in meiner Nähe ist, das sehr genau meiner Präferenz entspricht. Das genaue Wissen um meine Präferenz hilft mir dabei, zu entscheiden, wo besondere Vorsicht geboten ist. Überhaupt habe ich gelernt, genaue Beobachtung und Analyse einer Situation für meine Zwecke zu verwenden. Die Techniken, die ich am Anfang der Therapie durch die Beobachtungsbögen erlernt habe, sind mir dabei wertvolle Helfer. Viele Dinge, die ich vorher nicht zulassen konnte, bin ich nunmehr bereit als gegeben zu akzeptieren. Mir fällt es zwar immer noch schwer, meine Neigung neutral zu bewerten aber ich bin guter Dinge, bei weiterer Arbeit an mir selbst, eines Tages zur vollen Akzeptanz zu gelangen.
Ich fühlte mich ja schon vor der Therapie ziemlich sicher, keinen Übergriff zu begehen. Die genaue Auseinandersetzung darüber wie ein mögliches Opfer den Übergriff erleben könnte, hat mich aber dennoch einiges an Sicherheit dazu gewinnen lassen. Mir ist nun deutlich klar, ich muss davon ausgehen, bei einem eventuellen Übergriff das Kind erheblich zu schädigen und das ist etwas, was ich keinesfalls geschehen lassen möchte. Überhaupt hat mir der Themenblock, „Eigene Fantasie – Empathie – Brief an das Opfer“ sehr geholfen. Ich habe beschlossen, mich gerade mit diesen Themen auch weiterhin zu beschäftigen. Zum heutigen Zeitpunkt glaube ich, einerseits darin einen Schlüssel zur eigenen Akzeptanz zu finden und andererseits die Sicherheit beizubehalten, nicht doch noch eines Tages einen Übergriff zu begehen.
Viele, viele kleine Hinweise und Tools lassen mich mein zukünftiges Alltagsleben leichter gestalten. Dazu zählt beispielsweise die Möglichkeit eine Situation mittels der „Ampelgrafik“ zu analysieren. Besonders hilfreich war auch die Therapie in der Gruppe. Anfangs hatte ich ehrlich gesagt schon Widerstände dagegen, die ich aber nach ein, zwei Sitzungen ablegen konnte. Seiher habe ich die Gruppe nur noch als positiv erlebt. Ich möchte nicht versäumen hier zu erwähnen, dass besonders die beiden Male in der großen Gruppe, sehr aufschlussreich waren. Ich konnte die wichtige Erfahrung machen, nicht allein mit meinem Problem zu sein. Es tat gut festzustellen, dass die anderen ähnliche Probleme und Schwierigkeiten hatten.
Ich fand die Therapeuten unbedingt kompetent und engagiert. Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich verstanden. Ich möchte ihnen an dieser Stelle meinen besonderen Dank aussprechen. Ich sehe die Teilnahme an diesem Projekt auch nach seiner Beendigung als besonderes Privileg an. Weniger gut fand ich, dass keine Begleittherapie stattfinden sollte. Ich habe daraufhin meine Therapie zu Hause auf die Frequenz von einmal monatlich zurückgeschraubt. Damit bin ich bei weitem nicht ausgekommen. Über schwere Strecken in den einzelnen Sitzungen fand ich es einfach nötig, zu Hause weiter daran mit fachlicher Anleitung zu arbeiten.
Insgesamt war mir die Therapie zu kurz. Für mein Gefühl waren wir in der Gruppe erst nachdem schon ca. 75% Prozent der Sitzungen gelaufen waren, in der Lage effektiv miteinander umzugehen. Auf unseren Wunsch, zu den anderen Betroffenen Kontakte aufbauen zu können, ist nicht eingegangen worden. Da es keinerlei Hilfe außerhalb des Projektes gibt, wäre es für mich bedeutsam gewesen, Kontakt zu bekommen, zumal ich davon ausgehen kann, dass diese Leute – genau wie ich – kein Täter werden wollen. Diese Absichtserklärung, die Therapie nicht abgebrochen zu haben, wäre für mich von besonderer Wichtigkeit gewesen.
Abschließend möchte ich mich nochmals für das Engagement der Therapeuten bedanken. Ich wünsche ihnen und dem Projekt selbst, dass es sich etabliert. Es ist absolut wichtig für uns Pädophile. Ich habe keine Stunde versäumt, viel zu wichtig war mir jede einzelne. Gäbe es noch einmal so viele Sitzungen, ich würde sie alle wahrnehmen wollen. Es war bestimmt nicht immer leicht, die Themen zu verarbeiten. Eigentlich war es ein ständiges seelisches Auf und Ab. Dennoch hatte es nur ein Ziel: Sich besser fühlen! Dieses Ziel habe ich erreicht und dafür lohnt sich jede Anstrengung. Vierzig lange Jahre war ich mit meinem Problem allein. Nun habe ich die Gewissheit, es gibt Leute die können mich verstehen.
Dafür sage ich danke!
Welche Perspektive ergibt sich daraus für die Zukunft?
• Zunächst habe ich gelernt, eine Änderung meiner Neigung ist nicht möglich. Ich werde also jeden Tag aufs Neue die Entscheidung für mich treffen müssen, ein Missbrauch kommt nicht in Frage.
• Diese Entscheidung fällt mir umso leichter, weil ich jetzt definitiv weiß, ich bin nicht der einzige, der diese Neigung hat und sich deshalb einschränken muss und will. Zu dem habe ich doch genügend Tools an die Hand bekommen, die mir helfen werden, nicht blindlings in eine Sackgasse oder Falle zu laufen.
• Sicher, ich kann mich immer noch nicht mit dieser Neigung annehmen. Das bedarf noch intensiver Arbeit, bestimmt auch nicht ohne psychologische Betreuung. Ich bin mir aber sicher, es gibt einen Ausweg aus dem Dilemma und das ohne Kinder dabei zu gefährden.
• Ferner fühle ich mich stark genug, um im gegebenen Fall zu vertreten, dass auch wir ein Recht darauf haben, Hilfe zu bekommen. Ich werde keine Gelegenheit auslassen, eine Etablierung der Präventionsmaßnahme der Charité zu fordern.
© 2007 Jay-Jay