Montag, 22.10.2018

Manfred Karremann live in Berlin


 von Marco


26. November 2008:
Es war ein Experiment, von dem niemand wissen konnte, wie es ausging: Nachdem Manfred Karremann sich bereits als Fernsehjournalist und Buchautor einen Namen gemacht hatte, stellte er sich am Donnerstag, den 22. November 2007 in der Berliner Urania erstmals einer öffentlichen Live-Diskussion. Das Thema seines Vortrags lautete:

Pädophilie und Gewalt – wie wir unsere Kinder schützen“

Karremann wollte aus erster Hand über seine Undercover-Erfahrungen aus der Pädophilen-Szene berichten, mit denen er im Jahr 2003 für großes Aufsehen gesorgt hatte. Erstmals lieferte er authentische Einblicke aus einer in sich abgeschotteten Szene, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleibt. Seine mutigen Recherchen führten u. a. dazu, dass zwei bekennende Pädophile zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden – ein schwerer Schlag für diese in sich tief verschworene Szene. So ist es kein Wunder, dass Karremann bis heute mit Beleidigungen, üblen Nachreden und sogar handfesten Morddrohungen leben muss. Es wundert auch nicht, dass bereits die Ankündigung zu Karremanns Vortrag in der Pädophilen-Szene für großen Wirbel gesorgt hat. Spektakuläre Flugblattaktionen, wütende Protestschreiben und andere „Gegenmaßnahmen“ wurden angekündigt; getrieben von dem rachsüchtigen Wunsch, es Karremann irgendwie heimzuzahlen.

Nachdem ich von der geplanten Veranstaltung erfahren hatte, wollte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, mich live über das Thema zu informieren und mich dabei –soweit möglich – auch persönlich einzubringen. Ich sagte mir: So eine Chance bekommst du so schnell nicht wieder! Deshalb zögerte ich nicht lange: Rechtzeitig nahm ich mir für Freitag, den 23. November einen freien Tag, reservierte mir eine Bahnverbindung sowie ein Hotelzimmer und freute mich auf einen hoffentlich spannenden Tag in Berlin. Der Tag war zunächst ein einziges Gehetze: Am Vormittag musste ich noch arbeiten, war in Gedanken aber schon in Berlin. Pünktlich um Viertel vor Drei machte ich Feierabend und begab mich unverzüglich auf den Weg zum Bahnhof, um rechtzeitig meinen Zug nach Hamburg zu erreichen. Am Hamburger Hauptbahnhof dann der erste Schock: Der ICE nach Berlin hatte 20 Minuten Verspätung! Sorgenvolle Gedanken schossen mir durch den Kopf: Würde ich noch rechtzeitig in Berlin ankommen? Würde ich es schaffen, rechtzeitig im Hotel einzuchecken und bis spätestens 19.00 Uhr in der Urania zu sein, um meine vorab reservierte Karte abzuholen?

Ich verdrängte diese Gedanken schnell wieder, denn ich hatte es ja nicht mehr selbst in der Hand. Die Fahrt selbst verlief reibungslos, doch die geplante Ankunftszeit von 17.44 Uhr konnte nicht mehr eingehalten werden. Als der ICE um kurz nach 18.00 Uhr dann endlich in Berlin eintraf, hechtete ich aus dem Bahnhof und sprang in das erstbeste Taxi. Eine Viertelstunde später war ich bereits am Hotel. Schnell wurden die notwendigen Formalitäten erledigt, bevor ich meine Tasche ins Zimmer schmiss und mich sofort auf den Weg zur Urania machte. Nach einer weiteren Viertelstunde Fußmarsch erreichte ich gegen 18.45 Uhr den Tagungsort und konnte erst einmal ein bisschen verschnaufen.

 

Ein ruhiger Auftakt

Ich war erstaunt, wie ruhig es am Veranstaltungsort zuging. Von der groß angekündigten Flugblattaktion war weit und breit nichts zu sehen; es gab niemanden, der die Passanten mit irgendwelchen Handzetteln belästigte. Später erfuhr ich, dass die Aktion von den Behörden kurzfristig verboten worden war. Die strengen Sicherheitsvorkehrungen bekam man auch als einfacher Gast schnell zu spüren: Mäntel und Taschen mussten an der Garderobe abgegeben werden, hier und da liefen uniformierte Polizeibeamte über den Flur. Zunächst aber holte ich an der Kasse meine Karte ab und traf mich mit Stephan und seiner Frau. Stephan wusste selbst noch nicht lange, dass er überhaupt dabei sein würde. Zunächst wollte er gar nicht kommen, doch dann hat Herr Karremann ihn ausdrücklich eingeladen. Ich war ebenfalls froh, dass ich Stephan und seine Frau an meiner Seite hatte, denn als alleiniger Vertreter der abstinent lebenden Pädos hätte ich mich nicht sonderlich wohl gefühlt. Bis zum Beginn der Veranstaltung war noch gut eine halbe Stunde Zeit, so dass wir uns noch gemütlich in die Cafeteria setzen und in aller Ruhe einen Kaffee trinken konnten. Anschließend machten wir uns auf den Weg zum Vortragssaal, mussten aber noch ein paar Minuten warten, bevor wir eingelassen wurden. Draußen im Flur gab es einen kleinen Infostand, an dem Karremanns Buch (Es geschieht am hellichten Tag) und andere Schriften zum Thema verkauft wurden.

Nachdem der Saal freigegeben wurde, führte Stephan uns spontan in die erste Reihe, wo wir gerade einmal drei oder vier Meter Abstand zur Bühne hatten. Hinter uns füllten sich nach und nach die Plätze. Insgesamt waren es aber wohl weniger Teilnehmer als erwartet; ich schätze die Zahl der Publikumsgäste auf nicht viel mehr als 60. Die Veranstaltung selbst begann mit etwa 10 Minuten Verspätung. Nachdem die Hauptprotagonisten Karremann und Lemke eingetroffen waren, wurden Stephan und seine Frau von Herrn Karremann persönlich begrüßt. Stephan stellte mich als guten Freund vor, woraufhin ich ebenfalls begrüßt wurde. Ich stellte mich Herrn Karremann als Marco vor, aber er konnte den Namen nicht einordnen.

Die Eröffnung gestaltete sich angenehm ruhig und unspektakulär. Nach den obligatorischen Begrüßungsworten wurde Karremanns jüngster Fernsehbeitrag „Außer Kontrolle – Kindesmissbrauch und Prävention“ gezeigt, der bereits am 3. Oktober im ZDF zu sehen war. Anschließend trat Karremann persönlich auf die Bühne, wobei er einen außerordentlich besonnen Eindruck machte und eindringlich erklärte, dass er eine Diskussion auf Stammtischniveau nicht wünsche. Karremann wies ausdrücklich darauf hin, dass nicht alle Pädophilen ihre Neigung ausleben und dass eine pädophile Ausrichtung nicht zwangsläufig mit sexuellem Missbrauch gleichzusetzen ist. Diese wichtige Differenzierung rechne ich Herrn Karremann hoch an!. Insofern nehme ich auch meine vorausgegangene Kritik („Effekthascherei“, „Einseitigkeit“) teilweise wieder zurück, denn nachdem ich ihn persönlich kennen lernen konnte, habe ich nun einen etwas anderen Eindruck von Herrn Karremann, der im persönlichen Umgang sehr sympathisch wirkte.

Karremanns Co-Referent war der Psychotherapeut Jürgen Lemke, der am Berliner Kinderschutzzentrum KIZ mit pädophilen Straftätern arbeitet. Lemke wies zunächst darauf hin, dass bestimmte Dinge in der Fersnehreportage möglicherweise missverständlich dargestellt worden seien. So sei im Film der Eindruck entstanden, pädophile Menschen sollten in der Therapie dazu ermutigt werden, sexuelle Beziehungen mit Erwachsenen einzugehen. Dies sei jedoch nur in wenigen Einzelfällen möglich und vorrangig nur bei solchen Tätern, die nicht primär auf Kinder ausgerichtet sind, sondern zur Gruppe der so genannten Ersatzobjekttäter gehören. Ansonsten dürfe man sich da keine falschen Hoffnungen machen: Wer sexuell auf Kinder ausgerichtet ist, bleibt auf Kinder ausgerichtet. Auch für diese Klarstellung bin ich Herrn Lemke dankbar; denn bis heute gibt es immer noch viel zu viele Therapeuten, die pädophil empfindenden Menschen falsche Hoffnungen machen und sie damit am Ende nur noch mehr in die Krise stürzen. Lemke führte weiter aus, dass es aber auch bei Kernpädophilen darum gehen müsse, die allgemeine Kontaktfähigkeit gegenüber Erwachsenen zu verbessern, denn die meisten Pädophilen würden die Welt der Kinder in unangemessener Weise idealisieren, was es ihnen oft schwer mache, mit Gleichaltrigen auszukommen. Dann stellte Karremann seinen Ehrengast vor: Einer der Protagonisten seines Films säße im Publikum, wobei es ihm selbst überlassen sei, ob er sich zur Sache äußern wolle oder nicht. Selbstbewusst wie er ist, erklärte Stephan sich sofort bereit, an der Diskussion mitzuwirken.

 

Eine lebhafte Diskussion

Zunächst aber begann die Publikumsdiskussion, bei der die Publikumsgäste sich mit konkreten Fragen einbringen konnten. Zwei Damen wollten zunächst wissen, wie man die Kinder denn konkret schützen könne – ein Aspekt, der in der Tat ein bisschen zu kurz kam. Auch ich meldete mich zu Wort und wollte von Herrn Karremann wissen, wie sein persönlicher Eindruck von denjenigen Pädophilen ist, die er kennen gelernt hat: Sind diese Leute wirklich davon überzeugt, Kindern etwas Gutes zu tun? Oder ist das ganze Gerede von der „einvernehmlichen Sexualität“ nur eine Schutzbehauptung, um das eigene Verhalten nach außen hin zu rechtfertigen? Karremann erklärte, den meisten Pädophilen sei schon bewusst, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist, aber sie würden diesen Gedanken (und ihre wenigen Anflüge von Gewissensbissen) schnell wieder verdrängen und sich immer wieder in ihre ideologischen Rechtfertigungen flüchten, in denen sie sich auch gegenseitig immer wieder bestärken.

Ich erklärte weiter, dass ich im Internet seit über drei Jahren auf Vertreter der radikalen Pädo-Szene treffe, aber immer wieder die Erfahrung machen muss, dass es ein absolut hoffnungsloses Unterfangen ist, wenn man glaubt, man könne diese Leute mit rationalen Argumenten davon überzeugen, dass es keine einvernehmliche Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen geben kann. Daraufhin kommentierte Jürgen Lemke aus therapeutischer Sicht: Wenn es um die so genannten kognitiven Verzerrungen ginge, so sei hier im Rahmen einer Therapie einiges an Veränderung möglich, auch wenn es natürlich nicht einfach sei.

Die ganze Diskussion verlief erstaunlich sachlich und unspektakulär; die gefürchteten Stammtisch-Parolen blieben vollständig aus. Im Gegenteil: Die Publikumsgäste machten im Großen und Ganzen einen erstaunlich informierten Eindruck. Wirklich unangenehm aufgefallen sind nur die Vertreter der radikalen Pädo-Szene, von denen sich fünf oder sechs auch tatsächlich zu Wort meldeten. Einigermaßen konstruktiv war da allenfalls noch die Frage, ob es denn gerechtfertigt sei, von „der“ Pädophilen-Szene zu sprechen, die es ja so einheitlich gar nicht gäbe. Ansonsten machten diese vergleichsweise wenigen Leute ausschließlich durch destruktive Absichten auf sich aufmerksam: Entweder fielen sie durch spontane Zwischenrufe auf („Sexualität ist ein Menschenrecht!, „Totaler Schwachsinn, den Sie hier vertreten!“), oder sie versuchten einmal mehr, ihr Verhalten ideologisch zu rechtfertigen. Da wurde z. B. auf die altbekannte Rind-Studie verwiesen, nach der nur etwa ein Drittel aller missbrauchten Kinder ihre sexuellen Erfahrungen mit erwachsenen Männern überhaupt als traumatisch. erlebt hätten. Die restlichen zwei Drittel würden diese Erfahrungen im Rückblick positiv bis neutral bewerten. Nach diesen Ausführungen platzte einem Zuschauer regelrecht der Kragen: „Wofür brauchen Sie eine Rechtfertigung?... Wofür???... Es geht hier um Kinder!!!. Als sich die Lage wieder beruhigt hatte, erläuterte Jürgen Lemke als Fachmann: Die wenigen Studien, die es zu diesem Forschungsbereich gäbe, seien in ihren Ergebnissen viel zu wenig aussagekräftig. Auf keinen Fall ließe sich aus solchen Studien die Rechtfertigung herleiten, Sex mit Kindern zu legitimieren.

Ein anderer Teilnehmer gab an, er hätte als Kind sexuelle Erfahrungen mit einem erwachsenen Mann gehabt, die ihm nicht geschadet hätten. Im Gegenteil: Diese Kontakte hätten ihm geholfen, seine eigene Homosexualität zu entdecken und selbstbewusst dazu zu stehen, was ihm andernfalls wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen wäre. Doch Karremann ließ sich auch durch solche Einwände nicht verunsichern: Die überwiegende Mehrheit aller Kinder, die er kennen gelernt hätte, sei durch die sexuellen Kontakte mit Pädophilen sehr wohl geschädigt worden, und zwar auch in Bereichen, die man normalerweise kaum auf der Rechnung hat: Kontakte zu Gleichaltrigen bleiben auf der Strecke; die schulischen Leistungen lassen nach; die Kinder werden gezwungen, zu Hause zu lügen und das Geschehene zu verheimlichen. All dies hinterließe deutliche Spuren, die sich in ihren langfristigen Auswirkungen gar nicht vorhersagen ließen.

Teilweise wurde Karremann auch tief unter die Gürtellinie angegriffen. So bekam er wieder einmal den Vorwurf zu hören, dass er anscheinend selbst pädophil sei. Karremann stellte unmissverständlich klar, dass er sich solche Unterstellungen genauso wenig gefallen lasse wie die oft gehörte Behauptung, er hätte seinerzeit Kinderpornographie verbreitet. Gegen derartige Verleumdungen werde er in Zukunft rigoros vorgehen. Gestik und Stimmlage ließen keinen Zweifel aufkommen, dass er es absolut ernst meint. Auch ich war erschrocken über das ausgesprochen aggressive Auftreten einiger Leute, denen man ihren Hass und ihre destruktive Energie regelrecht ansah. Wenn diese Leute ihre Sexualität genauso wenig unter Kontrolle haben wie ihr vorlautes Mundwerk, dann kann einem wirklich angst und bange werden!

 

Stephans großer Auftritt

Aber zum Glück blieben die Aussagen dieser Leute nicht unwidersprochen, denn es gab auch Leute wie Stephan, der im Verlauf der Diskussion nach vorne aufs Podium geholt wurde. Dort hielt er einen richtigen kleinen Vortrag, der den Ausführungen von Karremann und Lemke in nichts nachstand – weder auf rhetorischer noch auf inhaltlicher Ebene. Auch das Publikum verfolgte Stephans Ausführungen mit großem Interesse, als er davon erzählte, was er unter einem verantwortungsvollen Umgang mit pädophilen Neigungen versteht. Stephan erklärte, was er aus seiner Vergangenheit gelernt hat und warum er auch heute noch froh ist, dass er sich kastrieren ließ. Er mahnte die fehlenden Therapieangebote für pädophile Menschen an, wies aber auch darauf hin, dass die strafrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Kinder ihre volle Berechtigung hätten, weshalb man sich auch als Pädophiler uneingeschränkt an diese Gesetze zu halten hätte – ohne jede Einschränkung! Stephan betonte auch, wie wichtig es ist, die Bevölkerung über Pädophilie und sexuellen Missbrauch aufzuklären. Nur so sei eine umfassende Prävention überhaupt möglich. Er empfahl sogar, ältere Kinder sollten durchaus zu solchen Veranstaltungen mitgenommen werden, damit sie die Tricks und Strategien der Pädophilen kennen lernen und wissen, wie sie sich schützen können.

Stephan machte aber auch deutlich, dass es den typischen Pädophilen nicht gibt, sondern dass man immer nur den Einzelfall beurteilen kann. Einige Pädophile stünden unter einem sehr hohen Triebdruck und würden sehr schnell übergriffig, andere könnten ihre Sexualität Zeit ihre Lebens auf der platonischen Ebene halten, so dass sie sogar im Rahmen der Jugendarbeit verantwortungsvoll mit Kindern umgehen können. Solche Aussagen brachten eine besorgte Mutter auf die Palme, worauf hin Stephan erwiderte, solche Fälle mögen zwar die Ausnahmen sein, aber er hätte selbst einen pädophilen Freund, der im Verein in einem klar definierten Rahmen sehr verantwortlich mit Kindern arbeitet. Dazu kann ich nur sagen: Danke Stephan, dass du mich als positives Beispiel erwähnt hast!

So eindrucksvoll Stephans Auftritt auch war: Es gab einen anderen Ehrengast, der selbst Stephan in den Schatten stellte: Es handelte sich um eine Frau, die als Kind sexuell missbraucht wurde – ebenfalls eine Protagonistin aus Karremanns Film. Der Auftritt dieser Frau hat (fast) alle sichtlich bewegt: Sie brauchte nicht viel zu sagen, aber was sie sagte, das saß und hat die radikalen Pädo-Vertreter ganz schön alt aussehen lassen. Meine Hochachtung an diese Frau, dass sie sich dieser Konfrontation gestellt hat. Das Publikum sah es ähnlich und honorierte den Mut dieser Frau mit spontanen Applausbekundungen – ein wirklich bewegender Moment!

Leider wurde die Publikumsdiskussion zum Schluss ziemlich abrupt beendet, obwohl noch etliche Wortmeldungen ausstanden. Auch ich hätte noch unheimlich viel zu sagen gehabt, bin aber nicht mehr zu Wort gekommen – wie viele Andere auch. Dafür gab es anschließend noch die Gelegenheit, mit Karremann und Lemke persönlich zu sprechen. Auch ich nutzte diese Chance und unterhielt mich mit Jürgen Lemke über das Problem der fehlenden Therapieplätze und über die Frage, ob man als Therapeut überhaupt erkennen könne, ob jemand bereit ist, ernsthaft an sich zu arbeiten. Was mich besonders gefreut hat: Mit einer seriösen Selbsthilfegruppe wäre Lemke jederzeit zur Zusammenarbeit bereit. Daraufhin übergab ich ihm meine Visitenkarte mit der Adresse meiner Homepage, an der er sich sehr interessiert zeigte. Ganz zum Schluss konnte ich auch noch mit Herrn Karremann zu sprechen, dem ich ebenfalls meine Visitenkarte übergab. Karremann bedankte sich ausdrücklich für meine Teilnahme.

Nach und nach löste sich die Veranstaltung auf, Stephan und seine Frau gingen wieder zurück in ihre Unterkunft, und auch ich machte mich wieder auf den Weg ins Hotel, wo ich sofort erschöpft ins Bett fiel. Am nächsten Morgen traf ich mich noch einmal mit Stephan und seiner Frau zu einer kurzen Nachbesprechung. Wir waren beide sehr zufrieden mit dem vorigen Abend, den wir für unser gemeinsames Anliegen als großen Erfolg werteten. Schockiert hat uns lediglich das aggressive Auftreten der radikalen Pädo-Szene, mit dem wir beide nicht gerechnet hatten. Der Fall des anfänglichen Stinkbombenwerfers (von dem man in der ersten Reihe kaum etwas mitbekam) gehört da schon in den Bereich der Anekdoten, genau wie das schelmische Auftreten eines Dieter Gieseking, der überall brav seine Visitenkarte verteilte.

 

Eine positive Bilanz

Im Ergebnis war es ohne Frage eine gelungene Veranstaltung. Sicher gab es auch Punkte, die besser oder reibungsloser hätten ablaufen können. So hätte man z. B. die penetranten Zwischenrufe gewisser Störenfriede viel energischer unterbinden sollen, anstatt auch noch lang und breit darauf einzugehen. Auch die Zeit von insgesamt etwa 2 Stunden war für so ein vielschichtiges Thema zu kurz bemessen. Karremann und Lemke mussten sich in ihren Ausführungen auf das Notwendigste beschränken, auch die meisten Zuschauerfragen konnten nur oberflächlich beantwortet werden. Viele Wortmeldungen konnten am Ende gar nicht mehr berücksichtigt werden. Schade, dass man hier nicht spontan improvisieren und einfach mal eine halbe Stunde hinten dranhängen konnte. Bedauerlich auch, dass ganz offensichtlich kein Pressevertreter dabei war. Eine solche Veranstaltung hätte von den Medien mehr Beachtung verdient.

Wenn man aber bedenkt, dass es die erste Veranstaltung dieser Art war, hatten die Verantwortlichen die Sache im Großen und Ganzen aber recht gut geplant und erstaunlich sicher im Griff. Das Konzept schien aufgegangen zu sein: Polizei und Sicherheitsdienste hielten sich zwar dezent im Hintergrund, waren aber trotzdem immer präsent. Lediglich Herrn Karremann konnte man sich nicht nähern, ohne dass sofort zwei, drei Sicherheitsleute daneben standen und die Szene kritisch beäugten. Eine zweideutige Handbewegung (z. B. ein plötzlicher Griff in die Jackentasche) hätte man sich da wohl nicht erlauben dürfen. Angesichts der konkreten Gefährdungslage von Manfred Karreman man muss von für solche Sicherheitsvorkehrungen aber Verständnis haben.

Zum Schluss möchte ich Manfred Karremann und Jürgen Lemke ausdrücklich danken, dass sie sich der öffentlichen Diskussion gestellt haben und auch meinem Anliegen sehr interessiert gegenüber standen. Ich würde mich freuen, wenn Karremann und Lemke weitere Veranstaltungen dieser Art abhalten – vielleicht auch mal in anderen Städten, so dass man ein möglichst breites Publikum erreicht. Mein besonderer Dank aber geht an Stephan, der die Interessen der verantwortungsvoll lebenden Pädophilen in einer Weise vertreten hat, die ich zu hundert Prozent unterschreibe und die ich nicht besser hätte formulieren können. Stephan, ich bewundere dein Improvisationstalent, wie du dich da vorne hingestellt und spontan einen Vortrag aus dem Ärmel geschüttelt hast. Ich selbst hätte das schon allein wegen meiner Sprachbehinderung nicht gekonnt. Als Stotterer hat es mich große Überwindung gekostet, überhaupt vor so vielen Leuten zu sprechen. Allerdings fühlte ich mich inhaltlich so sicher, dass meine Sprachschwierigkeiten kaum zum Tragen kamen. Das allein ist für für mich schon ein riesiger Erfolg!

Nach unserem gemeinsamen Stadtbummel am Freitag Morgen trennten sich die Wege von Stephan und mir. Er und seine Frau machten noch eine kleine Einkaufstour, ich dagegen wollte mir lieber noch ein paar Sehenswürdigkeiten von Berlin ansehen. Bei einem gemütlichen Spaziergang vom Hauptbahnhof an der Spree entlang zur Siegessäule konnte ich mir alles noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und meine Gedanken sortieren. Zurück ging es durch den Tiergarten, bis ich schließlich direkt beim Holocaustmahnmal wieder herauskam, das für meine Begriffe überraschend unscheinbar wirkt und vor der hektischen Großstadtkulisse geradezu untergeht. Nach einem Spaziergang durchs Brandenburger Tor ging es am Reichstag vorbei wieder zurück zum Hauptbahnhof, wo ich um kurz nach 15.00 Uhr wieder zurück in Richtung Hamburg fuhr.

Auf der Rückfahrt erlebte ich zum Abschluss noch einmal einen wehmütigen Moment. Gegenüber von mir saß eine junge Familie mit zwei Kindern, darunter ein Junge von 9 oder 10 Jahren. Der Junge war unglaublich süß und genau mein Typ, ich kam schon richtig ins Schwärmen. Am Vorabend hatte ich mich noch auf rein sachlichem Niveau mit dem Thema auseinander gesetzt – und nun holten mich plötzlich meine Gefühle wieder ein! Mir war natürlich klar, dass der Junge für mich immer unerreichbar bleiben wird. Das ist auch gut so, denn er soll sich gesund und ungestört entwickeln, ohne dass ich ihm meiner Erwachsenensexualität dazwischen funke. Gerade deshalb war es aber ein so außerordentlich schmerzhafter Moment, der mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück holte und mich daran erinnerte, was es wirklich bedeutet, Pädo zu sein und mit Bedürfnissen leben zu müssen, die niemals ihre Erfüllung finden werden. Das ist die unauflösbare innere Tragik, mit der wir leben müssen. Man kann sich ihr weder entziehen noch kann man sie sich schön reden oder ideologisch verbrämen. Man kann sie nur akzeptieren und versuchen, damit zu leben, so gut es geht. Uns Pädos immer wieder mit unserer inneren Tragik zu konfrontieren, dazu können vielleicht auch Veranstaltungen beitragen, wie Manfred Karremann und Jürgen Lemke sie durchgeführt haben. In diesem Sinne hoffe ich, dass Karremann an dem Thema dranbleibt, was er ja bereits angekündigt hat.

aktualisiert: 30.04.2011