Montag, 22.10.2018

Zur Bewertung der Jugendpornographie:
Ein scheinheiliger Grabenkampf ohne Ende


 von Marco


16. Oktober 2007:
Es begann im Jahr 2003: Damals wurde von der Europäischen Union (EU) ein Rahmenbeschluss verabschiedet, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, noch effektiver gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen vorzugehen. Die dazu vorgesehene Strategie basiert auf zwei Säulen: Zum einen soll der Straftatbestand des „Sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen unter Ausnutzung einer Zwangslage“ künftig auf alle Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr anwendbar sein. In Deutschland schützt der dafür vorgesehene Straftatbestand bislang nur Jugendliche unter 16 Jahren. Diese Gesetzesverschärfung zielt vor allem darauf ab, eine rechtliche Handhabe gegen die Jugendprostitution zu schaffen, die in vielen EU-Mitgliedsstaaten immer noch ein großes Problem darstellt. Die zweite Säule des EU-Rahmenbeschlusses zielt speziell auf die Bekämpfung der Kinderpornographie. Bislang gelten nur einschlägige Abbildungen von Kindern unter 14 Jahren als Kinderpornographie. Dieser Begriff soll nun auch auf pornographische Abbildungen von Jugendlichen unter 18 Jahren ausgeweitet werden; demnach hieße es nicht mehr „Kinderpornographie“, sondern „Kinder- und Jugendpornographie.“

Die EU beruft sich ihrerseits auf die UN-Kinderrechtskonvention. Nach dem dort vertretenen Rechtsverständnis sind alle jungen Menschen unter 18 Jahren kategorisch als Kinder anzusehen, weshalb man auch den Schutz vor sexueller Ausbeutung konsequent auf alle Altersgruppen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ausdehnen müsse. Nur so werde man den strengen Vorgaben der international verbindlichen Kinderrechtskonvention gerecht. Von daher wäre es nur folgerichtig, insbesondere den Begriff der Kinderpornographie so auszuweiten, dass er alle Unter-18-Jährigen konsequent schützt. Damit hätte man zudem ein sehr effektives Rechtsmittel gegen die immer weiter ausufernde Kinder- und Jugendpornographie im Internet, die schon heute kaum noch zu beherrschen sei.

Den Mitgliedstaaten wurde eine Frist bis zum 20. Januar 2006 gesetzt, um die EU-Vorgaben auf nationaler Ebene umzusetzen. Die Bundesregierung präsentierte kurz vor Ablauf dieser Frist ihren Änderungsentwurf zu den Paragraphen 182 und 184b StGB des Strafgesetzbuchs (StGB). Der § 182 regelt den Sexuellen Missbrauch Jugendlicher zwischen 14 und 17 Jahren, der 184b hat die Strafbarkeit kinderpornographischer Schriften zum Inhalt. Beide Paragraphen sollen nun erheblich verschärft werden, was selbst unter Fachleuten nicht unumstritten ist und für erheblichen Zündstoff gesorgt hat.

 

Was soll sich ändern?

Sehen wir uns zunächst die vorgesehenen Änderungen zum §182 an. Bislang gilt folgende Rechtslage: Sexuelle Kontakte mit Jugendlichen zwischen 14 und 15 Jahren sind für Erwachsene straffrei, solange dabei keine wie auch immer geartete Zwangslage oder eine besondere Unreife des Jugendlichen ausgenutzt werden. Sexuelle Kontakte mit Jugendlichen ab 16 Jahren sind dagegen grundsätzlich straffrei. Eine Ausnahme gilt nur dort, wo ein besonderes Abhängisgkeitsverhältnis besteht, z. B. in der Schule (zwischen Schüler und Lehrer) oder im Berufsleben (zwischen Auszubildendem und Ausbilder). Dieser Sonderfall wird allerdings nicht durch den § 182 geregelt, sondern durch den § 174 („Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“).

Angedacht ist nun, die Schutzaltersgrenze im Abs. 1 des § 182 (Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Zwangslage) derart heraufzusetzen, dass nicht mehr von „Personen unter 16 Jahren“, sondern von „Personen unter 18 Jahren“ die Rede ist. Die Voraussetzungen, unter denen sexuelle Kontakte mit Jugendlichen zwischen 16 und 17 Jahren noch erlaubt wären, würden damit enger gefasst. Außerdem gilt bislang noch die Voraussetzung, dass der Täter selbst mindestens 21 alt sein muss, bevor er sich des sexuellen Missbrauchs an einem Unter-16-Jährigen strafbar machen kann. Künftig soll dagegen jeder Strafmündige ab 14 Jahren belangt werden, können, wenn er einen Jugendlichen unter 18 Jahren durch Ausnutzen einer Zwangslage sexuell missbraucht. Auch der Versuch – bislang nicht strafbewährt – soll nun unter Strafe gestellt werden. Durch diese Neuregelung könnte es theoretisch auch zu der mehr oder weniger absurden Konstellation kommen, dass zwei gleichaltrige Jugendliche sich gegenseitig „missbrauchen”, was bestimmt nicht im Sinne des Gesetzgebers wäre. Hier wird sicher noch die eine oder andere Nachbesserung erforderlich sein.

Die vorgeschlagene Neufassung des §184b wird in ihren Auswirkungen vermutlich noch viel weitreichender sein. Dieser Paragraph verbietet den Erwerb, den Besitz, die Verbreitung, den Handel und die Herstellung von „kinderpornographischen Schriften“. Unter diesen Begriff fallen sämtliche Bilder bzw. Videoaufnahmen, auf denen sexuelle Handlungen von Kindern unter 14 Jahren zu sehen sind. Dazu genügt es bereits, wenn Kinder in sexuell aufreizenden und altersuntypischen Posen dargestellt werden. Künftig soll nun nicht mehr von „kinderpornographischen“, sondern von „kinder- und jugendpornographische Schriften“ die Rede sein. Ein kleiner, aber feiner Unterschied mit der Folge, dass nun auch pornographische Aufnahmen von 14 bis 17-Jährigen in gleicher Weise strafbar wären.

Besonders um den § 184b entbrannte unter Politikern und Juristen sofort eine hitzige Debatte. Einige Strafrechtsexperten begrüßen die Ausweitung des kinderpornographischen Begriffs auf ein Schutzalter von 18 Jahren, viele Fachleute stehen der undifferenzierten Gleichstellung von Kindern und Jugendlichen aber auch sehr kritisch gegenüber. Die vorgeschlagenen Revisionen zum § 182 stoßen dagegen auf weitgehende Zustimmung. Trotz aller Kontroversen fühlte sich die Bundesregierung weiter an den EU-Rahmenbeschluss gebunden und hielt an ihrem Gesetzesentwurf fest. Im November 2006 beantragte Bundeskanzlerin Merkel die Beschlussfassung durch den Deutschen Bundestag. Nach einem ursprünglich vorgesehen Zeitrahmen sollten die Gesetzesänderungen zum 1. Januar 2008 in Kraft treten, doch es ging nur zäh voran: Erst im Juni 2007 befasste sich der Rechtsausschuss des Bundestages mit den vorgelegten Entwürfen, wobei auch acht hochrangige Sachverständige angehört wurden, die sich teils für, teils gegen den neuen Gesetzesentwurf aussprachen. Wer sich näher damit befassen möchte, der findet beim Deutschen Bundestag das entsprechende Material, u. a. auch die Originalgutachten der Sachverständigen:

Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages

Ob und wann der Gesetzesentwurf jemals in Kraft treten wird, ist immer noch nicht abzusehen, unter Politikern aller Fraktionen wird nach wie vor kontrovers darüber diskutiert. Nur eins ist sicher: Der vorgesehene Umsetzungstermin zum 1. Januar 2008 kann nicht mehr eingehalten werden. Meine persönliche Meinung zu den geplanten Verschärfungen der Paragraphen 182 und 184b sieht eher zwiespältig aus. Den Gesetzesentwurf zum § 182 halte ich für sinnvoll, denn er zielt vor allem darauf ab, die Jugendprostitution von 14- bis 17-Jährigen unter Strafe zu stellen. Ein sehr lobenswertes Ziel, denn Jugendliche, die sich der Prostitution hingeben, tun dies in den wenigsten Fällen freiwillig, sondern aus bitterer Not, oder – wie das Gesetz es nennt – aus einer Zwangslage heraus. Von daher kann der angedachte Gesetzesentwurf tatsächlich einen wichtigen Beitrag leisten im Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung Jugendlicher. Aus diesem Grund befürworte ich den Gesetzesvorstoß.

 

Problem Nr. 1: Die inneren Widersprüche

Anders dagegen meine Meinung zur vorgeschlagenen Neufassung des § 184b. Ganz unabhängig vom Kindheitsbegriff der UN-Kinderrechtskonvention stellt sich für mich zunächst die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, die Altersgrenze für die gewollte oder ungewollte Mitwirkung in pornographischen Aufnahmen von 14 auf 18 Jahre anzuheben. Mit Kinderschutz im engeren Sinn hat diese Fragestellung ohnehin nicht viel zu tun, denn es geht hier nicht um Kinder, sondern um Jugendliche mitten in der Pubertät – ein großer Unterschied, gerade aus sexualbiologischer Sicht. Die vorgesehene Gesetzesinitiative kann also nicht unter dem Blickwinkel des Kinderschutzes betrachtet werden, sondern allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes. Hier wiederum ist der Gesetzgeber inkonsequent: Nach derzeitiger Gesetzeslage hält man Jugendliche (mit bestimmten Einschränkungen) für reif genug, in sexuelle Handlungen einzuwilligen, auch mit einem Erwachsenen. Wer die Reife hat, sich für oder gegen sexuelle Handlungen zu entscheiden, der weiß aber auch, was Pornographie bedeutet und worauf er sich gegebenenfalls einlässt. Der neue Gesetzesvorstoß ist nichts Halbes und nichts Ganzes: Einerseits hält man junge Leute ab 14 prinzipiell für alt genug, über ihre Sexualität selbst zu entscheiden. Wenn es aber um die Mitwirkung an pornographischen Aufnahmen geht, dann soll ihnen genau diese Reife jetzt wieder abgesprochen werden. Das ist ein Widerspruch, der sich nicht überzeugend begründen lässt. Um diesen Widerspruch aufzulösen, sehe ich nur zwei Möglichkeiten:

1.) Man verschärft das Gesetz noch weiter und stellt sexuelle Kontakte mit unter 18-Jährigen generell unter Strafe – nicht nur pornographische Darstellungen, sondern jede Art von sexueller Interaktion. Das wäre geradlinig, konsequent und in sich schlüssig, hat aber den gravierenden Nachteil, dass man damit auch die Jugendlichen selbst kriminalisieren würde, wenn sie untereinander Sex haben. Ein 20-Jähriger dürfte dann nicht mehr mit seiner 17-jährigen Freundin schlafen, der 16-Jährige noch nicht einmal mehr mit der 15-Jährigen. Gut gemeinte Jugendschutzüberlegungen würden schnell in moralischen Übereifer umschlagen.

2.) Oder aber man belässt es bei der jetzigen Gesetzeslage und hält Jugendliche ab 14 Jahren auch weiterhin für reif genug, über ihre Sexualität selbst zu entscheiden. Das muss dann aber ebenfalls für alle Bereiche der Sexualität gelten, das Problem der Jugendpornographie mit eingeschlossen. Eine einseitige Gesetzesverschärfung, wie sie derzeit geplant ist, würde sich demnach verbieten.

Ich persönlich halte Jugendliche ab etwa 16 Jahren für reif genug, um einvernehmlich in sexuelle Kontakte auch mit älteren Partnern einzuwilligen. Eine Anhebung der Altersgrenze bei kinderpornographischen Schriften auf 16 Jahre halte ich deshalb für gerade noch für vertretbar; die Anhebung auf 18 Jahre schießt dagegen über das Ziel hinaus. Nicht nur, weil dies zu Widersprüchen mit anderen Altersgrenzen führt, sondern auch, weil wir damit gefährlich nahe an die Moralvorstellungen eines puritanisch geprägten Amerika heran kommen, wo teilweise schon über Altersgrenzen von 21 Jahren nachgedacht wird. Daran sollte man sich hierzulande kein Beispiel nehmen. Auch den rigiden Kindheitsbegriff der UN-Kinderrrechtskonvention sollte man in diesem Zusammenhang ruhig einmal in Frage stellen, denn es scheint mir reichlich wirklichkeitsfremd, das Ende der Kindheit erst bei einem Lebensalter von 18 Jahren anzusetzen. Spätestens ab 16 Jahren (eher noch früher) sind Jugendliche keine Kinder mehr, sondern junge Menschen kurz vorm Erwachsensein, die ernst genommen und respektiert werden möchten. Wer sie mit kleinen Kindern gleichsetzt, führt alle noch so berechtigten Schutzüberlegungen ad absurdum.

Um meinen eigenen Vorteil geht es mir bei dieser Sichtweise nicht, denn ich habe jemals weder kinder- noch jugendpornographische Aufnahmen besessen und werde auch in Zukunft konsequent darauf verzichten. Meine Einstellung dazu wird sich ebenfalls niemals ändern: Die Produktion, die Verbreitung und in letzter Konsequenz auch der bloße der Besitz von Kinderpornographie gehören ganz sicher zu den schlimmsten Verbrechen, die man einem Kind antun kann (siehe auch: Kinderpornographie). So ein immenser (und völlig unnötiger) Ermittlungsaufwand zieht die Kräfte nur dort ab, wo sie viel dringender gebraucht werden, nämlich im Kampf gegen die wirkliche Kinderpornographie. Auf Polizei und Justiz wird eine Flut von Mehrarbeit zukommen, die sie kaum bewältigen können, denn die Ermittlungsbehörden sind jetzt schon völlig überlastet. Nun sollen sie sich künftig auch noch (wie oben beschrieben) mit harmlosen Teenager-Späßen beschäftigen. In der Praxis würden solche Fälle vermutlich zwar bald wieder eingestellt werden, aber die Ermittlungen müssten erst einmal aufgenommen werden, was in der Konsequenz nur eins bedeuten kann: Der Kampf gegen die wirklichen Übeltäter und deren Hintermänner wird unnötig geschwächt. Realistisch betrachtet kann die angedachte Gesetzesverschärfung also nur nach hinten losgehen. Die so oft bemängelte Lebensferne der EU-Bürokraten macht selbst vorm Jugendschutz nicht halt. Wer wirklich etwas gegen Kinderpornographie unternehmen möchte, sollte lieber dafür sorgen, dass Polizei und Justiz mehr Personal und eine bessere technische Ausrüstung an die Hand bekommen. Dazu ein Zitat von Dr. Helmut Graupner (Strafverteidiger aus Wien) aus seinem Gutachten für den Deutschen Bundestag:

Keinem missbrauchten oder gefährdeten 10jährigen Kind ist damit gedient, dass (in Deutschland zT und in Österreich demnächst sogar generell wahlberechtigte) 17jährige junge Männer und Frauen unterschiedslos auf seine Stufe gestellt werden. Ganz im Gegenteil kann es passieren, dass derart unnötig belastete Strafverfolgungsbehörden nicht mehr in ausreichendem Masse die erforderlichen Ressourcen für den so dringenden und wichtigen effektiven Kampf gegen den wirklichen Kindesmissbrauch, die wirkliche Kinderprostitution und die wirkliche Kinderpornografie haben werden.“

(Dr. Helmut Graupner „Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages am 18.06.2007“, Wien 2007; S. 18)

Diesen deutlichen Worten kann ich mich nur ausnahmslos anschließen. Die Absicht des EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der Kinderpornographie mag ehrenwert sein, schießt aber weit über das Ziel hinaus. Alles in allem habe ich den Verdacht, dass es hier nicht wirklich um Jugendschutz geht, sondern eher um ein politisches Ablenkungsmanöver, das der Bevölkerung suggerieren soll, es werde etwas für den Schutz der Jugend getan. Für die wirklichen Probleme der Jugend interessiert sich in Wahrheit aber kaum einer. Wer ernsthaft etwas für die Jugend tun will, sollte lieber in Ausbildungsplätze investieren, die Chancen von Schulabgängern (insbesondere von Hauptschülern) verbessern, mehr Geld für die Jugendarbeit bereit stellen und die gesamte Schul- und Bildungspolitik einmal gründlich auf den Kopf stellen. Natürlich: All diese Dinge kosten Geld und erfordern viel Überzeugungsarbeit. Damit würde man aber unendlich viel mehr für die Jugend tun als mit unausgegorenen Gesetzesverschärfungen, die an den wahren Problemen der Jugend vorbei gehen. Da ist es um ein Vielfaches leichter, einfach den moralischen Zeigefinger zu erheben und kurzerhand ein Gesetz zu ändern.

Es ist Heuchelei, sich ausgerechnet beim Thema Pornographie auf die UN-Kinderrechtskonvention zu berufen, für deren moralische Vorgaben man sich ansonsten herzlich wenig interessiert. Zumal diese Begründung auch nicht greift, denn abgesehen von der Begriffsfestlegung Kind = <18 Jahre gibt die UN-Kinderrechtskonvention kein konkretes Schutzalter vor, weder beim Thema Jugendpornographie noch sonst irgendwo. Lediglich die Verpflichtung zum Schutz vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch ist festgeschrieben, was natürlich auch den Schutz vor pornographischer Ausbeutung beinhaltet. Das ist in Bezug auf die eigentliche Kinderpornographie auch unabdingbar, das rigorose Schutzalter von 18 Jahren ist dagegen eine höchst eigenwillige Interpretation der Europäischen Union. Wenn ich mir ansehe, was ansonsten alles für Kinder getan (oder besser gesagt: nicht getan) wird, dann wirkt dieser plötzliche Feuereifer in Sachen Jugendschutz wenig glaubhaft.

 

Scheinheiligkeit statt echtem Jugendschutz

In die gleiche scheinheilige Kategorie passen auch zwei andere Gesetze, die in letzter Zeit verabschiedet wurden und die ebenfalls auf EU-Vorgaben beruhen. So ist Jugendlichen unter 18 Jahren neuerdings das Rauchen in der Öffentlichkeit verboten, Sonnenstudios sollen sie demnächst ebenfalls nicht mehr besuchen dürfen. Um auch hier nicht falsch verstanden zu werden: Ich will die Gefahren von Nikotinkonsum und UV-Strahlung in keiner Weise verharmlosen. Beides ist mit großen gesundheitlichen Gefahren verbunden, vor denen gerade Kinder und Jugendliche in besonderer Weise geschützt werden müssen. Das erreicht man aber nicht mit stupiden Verboten, sondern durch Aufklärung, Information und Vorbildverhalten. Statt neue Gesetze zu erlassen, sollten wir als Erwachsene den Jugendlichen vorleben, wie man auch ohne Zigaretten und ohne Sonnenstudio ein zufriedenes Leben führen kann. Das würde unendlich viel mehr bringen, als ständig den moralischen Zeigefinger zu erheben. Im Hinblick auf Pornographie muss man jungen Menschen vorleben, dass man sexuelle Erfüllung in einer liebevollen Partnerschaft findet, nicht aber im Vermarkten und Zur-Schau-Stellen des eigenen Körpers.

Die Wirklichkeit ist an Verlogenheit kaum zu überbieten, gerade wenn es um das Rauchen geht. Die Erwachsenen dürfen sich weiter nach Herzenslust den Glimmstengel anzünden, dürfen ihre Gesundheit gefährden und dem Staat damit auch noch die Tabakssteuer sichern. Kein Mensch regt sich darüber auf, lediglich für die Unter-18-Jährigen gelten immer strengere Gesetze. Solange die Erwachsenen in keiner Weise bereit sind, auch einmal ihr eigenes Verhalten in Frage zu stellen, hat jedoch keiner das Recht, gegenüber der Jugend den moralischen Zeigefinger zu erheben. Kinder und Jugendliche spüren sehr genau, ob ein Erwachsener die Werte, die er ihnen predigt, auch selbst vorlebt. Glaubhafte Vorbilder brauchen wir heute dringender denn je; doch bei der EU vertraut man lieber auf vordergründige Gesetze, die in Wahrheit nur dazu dienen, das eigene Gewissen zu beruhigen. Gleichzeitig werden die Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche in dieser Gesellschaft immer schwieriger, doch an die tiefer liegenden Ursachen traut sich kaum einer heran: Zu nennen wären da vor allem die zunehmende Konsumorientierung unserer Gesellschaft, eine grundlegend falsche Prioritätensetzung in der Politik, aber auch die immer größer werdende soziale Kälte unter den Menschen.

Egal, ob Rauchen, Sonnenstudio oder Jugendpornographie: In all diesen Gesetzen sehe ich die Besorgnis erregende Tendenz, die Jugendlichen in ihrer Freiheit immer mehr einzuschränken und zu bevormunden. Ob man damit wirklich etwas zum Jugendschutz beiträgt, ist sehr fraglich. Es geht eher darum, das moralische Gewissen der Erwachsenen zu beruhigen, nach dem Motto: „Seht her, wir haben mal wieder etwas für die Jugend getan!“ Wenn diese Tendenz so weiter geht, dann werden bald schon die ersten Forderungen laut, auch den Eintritt der Volljährigkeit wieder auf das 21. Lebensjahr herauf zu setzen. Ich sehe es wirklich soweit kommen, denn ich dieser Hinsicht ist unsere Gesellschaft leider im Rückschritt begriffen: Weg von der ehrlichen Problemanalyse hin zu einfachen Scheinlösungen und vordergründigem Aktionismus. Konservative Moralapostel kommen vielleicht auf ihre Kosten, aber der wirkliche Jugendschutz bleibt auf der Strecke!

aktualisiert: 30.04.2011