Montag, 22.10.2018

Das fehlende Unrechtsbewusstsein


Entgegen einem landläufigen Vorurteil weiß man heute, dass die Nutznießer von Kinderpornographie nicht zwangsläufig pädophil sein müssen. Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum sich jemand kinderpornographische Bilder beschafft. Oftmals dient der Konsum dem Abbau von sexuellen Spannungen oder persönlichem Frust.1) „Neugierverhalten, Sensationssuche oder verschiedene psychischen Probleme“ werden als weitere Motive genannt, die auch bei nicht-pädophilen Delinquenten zur Nutzung und Beschaffung von Kinderpornographie führen können.2) Bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Kinderpornographie-Konsumenten handelt es sich aber tatsächlich um Pädophile. Auf viele von ihnen übt Kinderpornographie eine verhängnisvolle Faszination aus, der sie sich nicht entziehen können. Ein wie auch immer geartetes Unrechtsbewusstsein ist entweder nicht vorhanden, oder es wird systematisch ausgeblendet. 

Die Abnehmer von Kinderpornographie argumentieren oft, ihre Rolle als Konsument sei eine rein passive. Sie würden gewissermaßen eine rein beobachtende Position ohne aktive Tatbeteiligung einnehmen. Diese Art der Triebabfuhr sei das kleinere Übel im Vergleich zum real begangenen Missbrauch an Kindern im eigenen Umfeld. Diese Argumentation mag vielen Pädophilen genügen, um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen; sie übersieht aber, dass hinter jedem Bild der real stattgefundene Missbrauch eines ebenso realen Kindes steckt. Hinter jedem Bild und hinter jeder Filmsequenz steckt die Geschichte eines missbrauchten Kindes, dass unter seien Erlebnissen ein Leben lang zu leiden hat. Dass die einmal angefertigten Bilder oft noch noch Jahrzehnten irgendwo im Umlauf sind, wird von vielen Opfern als besonders demütigend empfunden. Diese persönlichen Schicksale, die hinter jedem einzelnen Bild stecken, blenden die Konsumenten systematisch aus, sobald sie ihrer verhängnisvollen Begierde nachgehen.

Auch der Erwerb oder der bloße Besitz von Kinderpornographie sind kein Kavaliersdelikt, sondern sie sind nichts Anderes als die aktive Unterstützung eines schwer kriminellen Marktes, der mit der sexuellen Misshandlungen von Kindern aller Altersgruppen (bis hin zu Säuglingen) seinen Profit verdient. Die Rolle der Endabnehmer ist keineswegs eine rein passive, wie so oft behauptet wird, denn die Nachfrage bestimmt das Angebot. Wer sich Kinderpornographie beschafft (und dafür womöglich noch bezahlt), gibt damit immer neue und oftmals immer härtere Bilder in Auftrag – und macht sich genauso mitschuldig wie die Produzenten vor Ort.


Welche Alternativen gibt es?

Oft wird die Frage aufgeworfen, ob Kinderpornographie eine Art „Einstiegsdroge“ darstellt und die Hemmschwelle für einen tatsächlichen Übergriff herabsetzt. Das muss nicht zwangsläufig so sein, aber unter Kriminologen und Sexualforschern gibt es ernst zu nehmende Hinweise, dass dies in vielen Fällen so ist.3) Mich beschäftigt deshalb vor allem eine Frage: Welche Alternativen kann man einem pädophilen Menschen anbieten, der ein Verlangen nach Kinderpornographie verspürt? Pauschallösungen gibt es sicher nicht, man kann nur für den Einzelfall nach einer Lösung suchen. Bis zu einem gewissen Grad kann man seine triebhaften Bedürfnisse mental kompensieren. Dazu gehören die Erfüllung auf der platonischen Ebene und die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Bedürfnisstruktur.

Ganz ausschalten lässt sich die triebhafte Komponente aber nie, deshalb muss man gerade als Pädophiler einen Weg finden, auch mit dieser Seite seiner Sexualität verantwortungsvoll umzugehen. Für einige kann es ein Weg sein, statt Kinderpornographie einfach Bilder von Kindern in Alltagssituationen zu nehmen, wie man sie in Prospekten, Zeitschriften oder Katalogen findet. Solche Bilder enstprechen den „Indikativen Darstellungen“ auf der Skala von Tayler, Holland und Quayle (siehe: Was ist Kinderpornographie?). Indikative Darstellungen sind in einem Zusammenhang entstanden, der nichts mit Sexualität oder gar sexueller Ausbeutung zu tun hatte. Sie werden rechtlich auch nicht als Kinderpornographie gewertet. Man kann es für anstößig halten, überhaupt Kinderbilder zur sexuellen Stimulation zu benutzen. Ich halte das ethisch für vertretbar, solange

● es sich eindeutig um nicht-pornographische Bilder handelt, die in keinerlei sexuellem Zusammenhang entstanden sind und die Kinder nicht in irgend welchen anstößigen Posen zeigen

● es sich um Bilder handelt, die aus neutralen Quellen stammen, die für jedermann öffentlich und frei zugänglich sind.

Bilder von Kindern in Unterwäsche (z. B. aus einem Bekleidungskatalog) sind demnach noch in Ordnung, da sie nicht unter den Begriff Kinderpornographie fallen. Wenn jemand unbedingt Nacktbilder braucht, um sexuell erregt zu werden, dann wird es natürlich problematisch. Grundsätzlich hat jeder seine ganz eigene Reizschwelle. Auch der Gebrauch dieser an sich harmlosen Kinderbilder ist aber nicht immer ganz unproblematisch, denn bei einigen Pädophilen kann es zu einer Art „Steigerungseffekt“ kommen. Irgendwann wird das Verlangen nach mehr geweckt, unter Umständen sogar nach richtiger Kinderpornographie. In so einem Fall ist es eher angezeigt, den Trieb z. B. mit Medikamenten zu dämpfen, so dass jemand bei der Selbstbefriedigung auch ohne zusätzliche Stimulation auskommt. Die Gefahr eines solchen „Steigerungseffekts“ darf man nie außer Acht lassen, deshalb muss man sich selbst immer wieder gut beobachten.

Es ist und bleibt ein schwieriges Dilemma: Grundsätzlich müssen auch pädophile Menschen ein Ventil für ihren Trieb finden, gerade deshalb, damit die Kinder im realen Leben vor ihnen geschützt sind. Kinderpornographie ist aber nicht nur ein Verstoß gegen die Würde des Kindes, sondern sie besitzt zudem ein Suchtpotential, was sie doppelt so gefährlich macht. Es ist wie bei jeder anderen Art von Sucht- oder Zwangsverhalten: Je öfter man dem Verlangen nachgibt, desto schlimmer wird es. Auch wenn ich selbst keine einschlägigen Erfahrungen habe, bestätigen mir das meine Beobachtungen bei anderen Pädophilen immer wieder.

Deshalb kann ich ich jedem pädophil empfindenden Menschen nur dringend davon abraten, sich jemals auf kinderpornographische Bilder einzulassen. Nicht nur, weil man sich mitschuldig macht am Leid der Kinder, sondern auch aus Gründen des Eigenschutzes. Man begibt sich nämlich schnell in ein Teufelskreis, aus dem man aus eigener Kraft nicht mehr heraus findet. Bei einem starken Verlangen nach Nacktbildern rate ich deshalb immer dazu, therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, damit man nach anderen Möglichkeiten der Triebabfuhr suchen kann, notfalls auch mit medikamentöser Hilfe. Nicht zuletzt hat jeder Mensch auch immer noch seine eigene Vorstellungskraft, und der sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.


Die Chancen der Prävention

Ganz neue Chancen verspricht ein aktueller Ansatz der Berliner Charité. Seit Juni 2009 bietet man dort ein Therapieprogramm an, dass sich speziell an pädophile Männer richten, die ein Verlangen nach Kinderpornographie verspüren, dieses Verlangen aber nicht in die Tat umsetzen wollen.4) Langfristig ist dies wahrscheinlich der einzig erfolgreiche Weg, denn will man Kinderpornographie nachhaltig bekämpfen, dann muss man einen Mittelweg gehen aus Prävention und Repression. Grundsätzlich befürworte ich eine Null-Toleranz-Linie gegenüber Kinderpornographie genauso auch gegenüber jeder anderen Form von Gewalt gegenüber Kindern. Allein mit strafrechtlichen Mitteln wird man den Kampf aber nicht gewinnen können, denn es ist leider so, dass ein Großteil der Pädophilen ein starkes und dauerhaftes Verlangen nach kinderpornographischen Bildern verspürt. Das ist Fakt, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Es bringt auch nichts, diese Männer für ihr Verlangen zu verteufeln. Stattdessen muss man potentiellen Tätern mittels spezieller Therapieangebote helfen, von ihrem Bedürfnis nach solchen Bildern loszukommen.

Das Präventionskonzept der Charité wurde ursprünglich gegen das Problem des unmittelbaren Kindesmissbrauchs entwickelt. Wenn es gelingt, die erfolgreich getesteten Therapiemodelle auch auf das Problemfeld Kinderpornographie zu übertragen, dann wäre das eine riesige Chance, denn diesbezüglich steckt selbst die Forschung noch in den Kinderschuhen. Mehr Forschung in Richtung Prävention ist das eine. Auf der anderen Seite sollte es dann aber keine mildernden Umstände mehr für diejenigen geben, die ihrem Verlangen nach Kinderpornographie nachgehen und sich mitschuldig machen, wenn überall auf der Welt Kinder „auf Bestellung“ missbraucht werden.

Quellen:

1) 20 Minuten: Interview mit Dr. Frank Urbaniok

2) FAZ: Interview mit Prof. Dr. Klaus M. Beier, 13.05.2007

3) Beier K. M., Neutze J.: „Das neue ,Präventionsprojekt Kinderpornografie´ (PPK): Erweiterung des Berliner Ansatzes zur therapeutischen Primärprävention von sexuellem Kindesmissbrauch im Dunkelfeld”, Sexuologie Nr. 16, (1–2) 2009, S. 68

4) Prävention von Kinderpornografiekonsum im Dunkelfeld

aktualisiert: 11.12.2011