Pädophilie oder Pädosexualität?
Manche Fachleute unterscheiden zwischen Pädophilie und Pädosexualität, ebenfalls ein Wort, das vielfach gleichbedeutend mit sexuellem Missbrauch verwendet wird. Im Gegensatz zur Pädophilie, die sich auf die bloße Neigung bezieht, bezeichnet man mit dem Begriff Pädosexualität nicht die Neigung als solche, sondern die tatsächlich ausgelebte pädophile Sexualitiät. In einem Fachartikel der Charité heißt es hierzu:
„Konkrete (realisierte) sexuelle Handlungen eines Erwachsenen vor, an oder mit einem (vorpubertären) Kind werden dem gegenüber als pädosexuelle Handlungen bezeichnet und beschreiben damit ausschließlich eine sexuelle Verhaltensäußerung (und nicht automatisch eine möglicherweise im Hintergrund stehende Pädophilie). Mit anderen Worten: Der Begriff Pädosexualität beschreibt nach sexualmedizinischer Definition eine sexuelle Verhaltensäußerung und nicht eine Form von sexueller Ausrichtung (als Bestandteil der sexuellen Präferenzstruktur). Andersherum besagt die sexuelle Ausrichtung (Pädophilie) nicht automatisch, dass ein entsprechendes Verhalten an den Tag gelegt wird. Das bedeutet zusammengefasst: Pädophilie ist nicht gleich Pädosexualität und umgekehrt.“
(Ahlers Ch. J., Schaefer G. A., Beier K. M. (2005): „Das Spektrum der Sexualstörungen und ihre Klassifizierbarkeit in DSM-IV und ICD-10.“, Sexuologie 12 (3/4), S. 145)
Anders als in der Wissenschaft werden die Begriffe Pädophilie und Pädosexualität in der Alltagssprache zumeist gleichbedeutend nebeneinander verwendet. Seit den 90-er Jahren gibt es sogar Bestrebungen, den Begriff „Pädophilie“ generell durch die Bezeichnung „Pädosexualität“ zu ersetzen. Besonders Opferschutzverbände machen sich immer wieder für eine solche Umbenennung stark, denn viele Missbrauchsopfer halten die Bezeichnung „Pädophilie“ für verharmlosend. Anders als „Pädosexualität“ verschleiere der Begriff „Pädophilie“ den eindeutig sexuellen Charakter dieser auf Kinder gerichteten Zuneigung. Damit käme man den Interessen radikaler Pädophilen-Gruppen – die ihr Tun ebenfalls gerne verharmlosen – ungewollt entgegen.
Alles in allem ist es deshalb fraglich, ob sich die strikte Trennung zwischen Pädophilie und Pädosexualität im allgemeinen Sprachgebrauch jemals durchsetzen wird. Wer sich näher mit dem Thema beschäftigt, sollte den Unterschied aber kennen. In jedem Fall gilt es festzuhalten, dass nicht jeder pädophil empfindende Mensch automatisch zum Missbrauchstäter wird, obwohl in der öffentlichen Berichterstattung oftmals genau dieser Eindruck vermittelt wird.
Pädokriminalität ‒ das neue Schlagwort
Neben der Unterterscheidung zwischen Pädophilie und Pädosexualität hat sich in den letzten Jahren ein weiterer Terminus im öffentlichen Sprachgebrauch etabliert, nämlich der Begriff der Pädokriminalität. Im genauen Wortsinn bedeutet Pädokriminalität soviel wie „gegen bzw. zu Ungunsten von Kindern begangene Straftaten.“ Gemeint sind jedoch nur Straftaten mit sexuellem Hintergrund, also sexueller Missbrauch, Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie, Kinderprostitution usw. Die Charité schreibt hierzu:
„In den 90er Jahren der 20. Jh. prägten Kinderschutzorganisationen das Kunstwort Pädokriminalität. In diversen Petitionen des UNHCHR (United Nations High Commissioner for Human Rights), der WHO (World Health Organisation) sowie der UNICEF (United Nations Children’s Fund) wird das Wort Pädokriminalität (pédocriminalité, pedocriminality) zusammenfassend für den Themenkomplex rund um sexuellen Kindesmissbrauch, Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie verwendet (vgl. www.wikipedia.org, 2005). Hieran wird deutlich, dass der Begriff Pädokriminalität die sexualwirtschaftliche Ausbeutung von Kindern in Form von Versklavung, Prostitution und Pornografie beschreibt. Der motivationale Hintergrund von Pädokriminalität ist demnach kommerziell. Ob bei den Tätern eine sexuelle Ausrichtung auf Kinder besteht, ist fraglich, zumindest aber ungeklärt, weshalb eine Gleichsetzung mit dem Terminus Pädophilie auch hier nicht nur nicht gerechtfertigt erscheint, sondern sachlich falsch ist.“
(Ahlers Ch. J., Schaefer G. A., Beier K. M. (2005): „Das Spektrum der Sexualstörungen und ihre Klassifizierbarkeit in DSM-IV und ICD-10.“, Sexuologie 12 (3/4), S. 146.)
Die Wortschöpfung Pädokriminalität wird oft kritisiert, da es sich um ein Kunstwort handelt, da sie die Bezeichnung für eine sexuelle Präferenz („Pädo...“) an den Begriff für strafbares Verhalten („...kriminalität“) koppelt, was aus sexualmedizinischer Sicht (wie bereits erläutert) nicht zulässig ist. Der Begriff sei polemisch und diene nur dazu, Emotionen zu schüren, während eine differenzierte Auseinandersetzung (die im Sinne des Kinderschutzes dringend notwendig sei) erschwert werde. Der Begriff lenke davon ab, das sexueller Kindesmissbrauch nicht immer auf eine pädophile Ausrichtung zurückzuführen ist, sondern höchst vielfältige Ursachen haben kann. (vergl. Sind alle Missbrauchstäter pädophil?) Der Begriff würde außerdem die abstinent lebenden Pädophilen diskriminieren, indem er sie mit Sexualstraftäter auf eine Stufe stellt.
Die Befürworter des Begriffs argumentieren, die althergebrachte Bezeichnung „Pädophilie“ sei eine verharmlosende und opferfeindliche Bezeichnung für sexuelle Gewalt an Kindern. Deshalb sei es an der Zeit für einen neuen Begriff, der sexuellen Kindesmissbrauch ganz klar als das benennt, was er ist; nämlich ein Verbrechen. In der Öffentlichkeit scheint eine solche Sichtweise auf breite Zustimmung zu stoßen, weshalb der Begriff Pädokriminalität vor allem in der Medienlanschaft zu einem beliebten Schlagwort geworden ist. In der Fachliteratur findet man ihn dagegen selten.
Problematischer als der Begriff Pädokriminalität ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass alle drei Begriffe – Pädophilie, Pädosexualität und Pädokrimininalität – zumeist völlig beliebig miteinander vermischt werden. Dabei wäre es sehr sinnvoll, jeden dieser Begriffe möglichst exakt zu definieren und ihm eine klare Bedeutung zuzuweisen, so wie es die Charité vorgeschlagen hat. Damit wäre schon viel beigetragen zu einer Versachlichung der Debatte; denn viele Missverständnisse entstehen erst dadurch, dass unterschiedliche Begriffe von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich aufgefasst werden – und damit auch ganz unterschiedliche Gefühle hervorrufen. So kommt es auch, dass viele Menschen eine völlig falsche Vorstellung davon haben, was der Begriff Pädophilie überhaupt bedeutet und was im wissenschaftlichen Sinn damit ausgesagt wird.
Weitere Begriffe
Der Begriff Pädophilie ist heute aus sexualmedizinischer Sicht vergleichsweise eng definiert. Das Interesse an pubertierenden Jugendlichen ist aus sexualwissenschaftlicher Sicht z. B. klar von der Pädophilie abzugrenzen. Die Begründung lautet, dass es sich hier um eine sexualbiologisch erwartbare Reaktionen handelt, die nicht als Präferenzstörung einzuordnen ist.1) Hierfür gibt es in der Fachwelt sogar einen eigenen Begriff: Die sexuelle Vorliebe für Jugendliche wird als Hebephilie bezeichnet ‒ ein Begriff, der in den 50er-Jahren in Nordamerika geprägt wurde. Diese wiederum unterteilt sich in Parthenophilie (sexuelles Interesse an pubertierende Mädchen) und Ephebophilie (sexuelles Interesse an pubertierenden Jungen).2) Beide Begriffe sind schon sehr alt und gehen auf den deutschen Sexualmediziner Magnus Hirschfeld (1868-1935) zurück, der sie im Jahr 1906 erstmals in der Fachliteratur verwendete. Trotzdem gelangten sie erst in jüngerer Zeit (vor allem dank der Charité) zu neuer Bedeutung. Auch das sexuelle Interesse an Säuglingen und Kleinkindern unter drei Jahren fällt nicht unter das Störungsbild Pädophilie, sondern wird gemäß ICD-10 als „Sonstige Störung der Sexualpräferenz“ unter F65.8 kategorisiert.2)
Mit dem Begriff Päderastie – ebenfalls oft mit Pädophilie verwechselt – werden sexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen Männern und geschlechtsreifen männlichen Jugendlichen bezeichnet, wie sie kulturbedingt z. B. im antiken Griechenland oder im alten Rom toleriert wurden. Dieser Begriff gilt heute als veraltet und taucht in der neueren sexualmedizinischen Klassifikation nicht mehr auf. Die damit beschriebenen Verhaltensweisen fallen heute unter das Spektrum der Ephebophilie.
In radikalen Pädophilen-Kreisen (siehe: Pädosexualismus) wird das historische Phänomen der Päderastie oft mit Pädophilie bzw. mit pädosexuellen Handlungen gleichgesetzt. Wenn sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen in antiken Kulturen hohes Ansehen genossen ‒ so die Argumentation ‒ dann könne es daran nichts Schädliches oder Verwerfliches geben; schließlich hätten die antiken Hochkulturen über Jahrhunderte hinweg funktioniert. Eine solche Gleichsetzung zwischen Pädophilie und Päderastie ist jedoch sachlich vollkommen falsch. Bei der Päderastie ging es nämlich nicht um Sex zwischen Erwachsenen und vorpubertären Kindern, sondern um Kontakte zu pubertierenden Jugendlichen und sogar postpubertären jungen Männern. Dieser wichtige Unterschied wird in der Öffentlichkeit oft übersehen, in der Fachwelt ist er aber schon lange bekannt, wie ein Zitat aus einem Fachbuch von 1969 beweist:
„Eines vor allem darf man nie vergessen, wenn hier von der Knabenliebe gesprochen wird, nämlich dass es sich dabei niemals um Knaben, wie wir das Wort meist gebrauchen, das heißt um unmündige Kinder handelt, sondern stets um geschlechtsreife Knaben, das heißt um solche, die die Pubertät hinter sich haben.“
(Hans Licht: „Sittengeschichte Griechenlands“, Rowohlt-Verlag, Reinbeck 1969, S. 246)
Es ist wohl auch auf die Propaganda der Pädophilenbewegung zurückzuführen, dass sich in der Öffentlichkeit bis heute das Gerücht hält, Pädophilie bzw. pädosexuelle Kontakte seien im alten Griechenland „normal“ gewesen. In Wahrheit handelt es sich um eine Fehldeutung von Begrifflichkeiten. Zudem ist man sich in der Fachliteratur einig, dass es bei der antiken Päderastie eben nicht um einvernehmliche „Liebesbeziehungen“ ging, sondern um die systematische sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen, die oft genug unter Anwendung von Zwang und Druck zustande kam.3) Ganz davon abgesehen ist es generell unsinnig, die Wertvorstellungen der Antike, wo man noch kein Verständnis von Menschenrechten (oder gar Kinderrechten) kannte, auf die heutige Zeit zu übertragen. Vor einer Verklärung der antiken Päderastie muss deshalb dringend gewarnt werden. Sie ist ein historisches Phänomen und keinesfalls ein Maßstab für die heutige Zeit.
Literatur:
1) Ahlers Ch. J., Schaefer G. A., Beier K. M. (2005): „Das Spektrum der Sexualstörungen und ihre Klassifizierbarkeit in DSM-IV und ICD-10.“, Sexuologie 12 (3/4)
2) Ahlers Ch. J., Schaefer G. A., Feelgood S. R., Goecker D., Neutze J., Mundt I. A., Hupp E., Beier K. M. (2006): „Das Präventionsprojekt Dunkelfeld“, Vortrag auf der 21. Forensische Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Methodologie und Dokumentation in der Forensischen Psychiatrie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Ludwig-Maximilian Universität München, 05.bis 07.10.2006 (aktualisierte Unterlagen von 2009)
3) Bange D. (2007): „Sexueller Missbrauch an Jungen. Die Mauer des Schweigens“, Göttingen 2007