Montag, 22.10.2018

Ist Pädophilie eine hirnorganische Störung?

von Marco

 

In den vergangenen Jahren wurden diverse Studien veröffentlicht, die von neuroanatomischen Besonderheiten bei pädophilen Straftätern berichten. Im Jahr 2007 sorgte eine Studie aus Kanada für weltweites Aufsehen. Wissenschaftler der Universität Toronto hatten die Gehirne pädophiler Straftäter mittels Magnetresonanztomographie untersucht und seien dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass Pädophile zu wenig „weiße Substanz“ im Gehirn hätten.1) Dieser Mangel an weißer Substanz sei möglicherweise dafür verantwortlich, dass Pädophile ihre sexuellen Impulse nicht kontrollieren könnten. Wissenschaftler der Universität Magdeburg hatten ein Jahr zuvor ebenfalls hirnorganische Auffälligkeiten bei pädophilen Straftätern festgestellt.2) Die Medien greifen solche Meldungen immer wieder gerne auf, aber leider nicht immer mit der notwendigen kritischen Distanz. Die Methodik solcher Studien wird selten hinterfragt, stattdessen werden sensationsträchtige Schlagzeilen formuliert, für die es aus wissenschaftlicher Sicht noch zu früh ist. Pädophilie sei die Folge einer angeborenen Fehlentwicklung im Gehirn, so lautete der Tenor, der vor gut drei Jahren fast einhellig durch die Presse ging.

 

Studien mit wenig Aussagekraft

Ich will die neurobiologischen Ansätze in der Pädophilie-Forschung nicht in Frage stellen. Es ist wichtig, in alle Richtungen zu forschen; gerade auch, um populistischen und wenig informierten Sichtweisen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vor übereilten Schlussfolgerungen muss aber dringend gewarnt werden; denn der wissenschaftliche Beweis, dass eine pädophile Ausrichtung tatsächlich angeboren ist, konnte bisher nicht erbracht werden, auch wenn das in der Presse gelegentlich so dargestellt wird. Die wenigen neurobiologischen Untersuchungen, die es zu diesem Gebiet gibt, basieren auf kleinen Fallzahlen, deren empirische Beweiskraft sehr begrenzt ist. Außerdem wurden die Untersuchungen fast ausschließlich an straffällig gewordenen Pädophilen durchgeführt, so dass Rückschlüsse auf abstinent lebende Pädophile nur sehr bedingt möglich sind. Bei der Magdeburger Studie wurde z. B. mit einer sehr kleinen Fallzahl von 13 Probanden gearbeitet; alles rechtskräftig verurteilte Sexualstraftäter aus dem Maßregelvollzug. Selbst die Autoren warnen deshalb vor einer Verallgemeinerung ihrer Befunde.2)

Im Fall der kanadischen Studie wurden zwar mit einer größeren Fallzahl von 127 Probanden gearbeitet, aber auch hier handelte es sich ausschließlich um Pädophile, die bereits straffällig geworden waren. Einen repräsentativen Schnitt durch den vielfältigen Personenkreis der Pädophilen kann man auf diese Weise nicht erwarten, denn hätte man die abstinent lebenden Pädophilen mit einbezogen, dann wäre das Ergebnis wahrscheinlich anders ausgefallen. Bei beiden Studien hat also schon die Auswahl der Versuchspersonen das Ergebnis beeinflusst; denn bei Sexualstraftätern wird man immer das Problem haben, dass sie ihre Impulse und Begierden nicht kontrollieren können – sonst wären sie nicht straffällig geworden. Unter diesen Voraussetzungen ist es kein Wunder, wenn in der Auswertung der Eindruck entsteht, Pädophilie und Impulskontrollstörungen würden zwangsläufig miteinander zusammen hängen. 

Bei einigen Untersuchungen wurden Abweichungen im EEG pädophiler Straftäter („gesteigerte frontale Delta-, Theta- und Alpha-Aktivität“) im Vergleich zu nicht-pädophilen Kontrollpersonen gefunden. Auch hier wird aber betont, dass sich daraus noch keine Hinweise zur Ursache der Pädophilie ableiten lassen.3) In einer Studie der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahr 2006 wurde eine Gruppe von 18 Kernpädophilen (nach DSM-IV) ebenfalls auf neurologische Auffälligkeiten untersucht. Mittels voxel-basierter Morphometrie (VBM) konnte eine „Volumenreduktion der grauen Substanz“ in diversen Hirnregionen nachgewiesen werden.4) Außerdem wurden Tendenzen für ein stark zwanghaftes Verhalten festgestellt, was der Einordnung der Pädophilie als zwanghafter Impulskontrollstörung neuen Auftrieb gab. Auch hier zeigt sich aber wieder das Problem der zu kleinen Fallzahl von 18 Probanden, die allesamt aus dem Maßregelvollzug stammten. Zu den beteiligten Wissenschaftlern der Duisburger Studie zählte Dipl.-Psychologe Boris Schiffer. Er starte im selben Jahr eine weitere Untersuchung mit 19 kernpädophilen Probanden, die er mit 24 Kontrollprobanden verglich. Beide Gruppen konfrontierte er mit sexuell stimulierendem Bildmaterial. Dabei zeigte sich, dass bei den pädophilen Versuchsteilnehmern andere Hirnregionen aktiv waren als bei der nicht-pädophilen Kontrollgruppe. Ach hier wurden wieder Hinweise auf eine enge Verwandtschaft pädophiler Impulskontrollstörungen zu anderen Zwangsstörungen festgestellt.5) Eine noch sehr neue Studie aus dem Jahr 2008 (65 Probanden, 62 Kontrollprobanden) bestätigt wiederum die Aussage der kanadischen Forscher von 2007, wonach bei pädophilen Straftätern eine „signifikante Volumenreduktion“ an weißer Substanz feststellbar sei.6)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es mehrere voneinander unabhängige Studien gibt, in denen sich signifikante neurologische Auffälligkeiten bei pädophilen Straftätern feststellen ließen. Aufgrund der uneinheitlichen Befunde und der zu geringen Fallzahlen lassen sich die Ergebnisse aber derzeit noch nicht verallgemeinern. Zu bemängeln ist außerdem, dass lediglich pädophile Straftäter untersucht wurden, während es über abstinent lebende Pädophile keine vergleichbaren Erhebungen gibt. Auch eine Forschergruppe der Universität Göttingen kam jüngst zu dem Ergebnis, dass die Frage nach den neurobiologischen Ursachen der Pädophilie noch viel zu wenig erforscht sei, als dass man von gesicherten Erkenntnissen sprechen könnte:

Der derzeitige Kenntnisstand zu den neurobiologischen Grundlagen der Pädophilie basiert auf nur wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen. Einige dieser Untersuchungen legen die Hypothese neurobiologischer Anomalien bei pädophilen Straftätern nahe. Doch stellen sich die Befunde noch als zu heterogen dar, um eine Integration aller Befunde in ein übergeordnetes neurobiologisches Störungsmodell zu ermöglichen.“

(Frommberger P., Krippl M. Stolpmann G., Müller, J. L.:, Neurobiologie der pädophilen Störung – eine methodenkritische Darstellung bisheriger Forschungsergebnisse“, Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 4, 2007, S. 249-258)

Bemerkenswert ist, dass die Autoren ausschließlich von pädophilen Straftätern sprechen, so dass auch hier sehr schnell klar wird, dass bei praktisch allen Untersuchungen ein sehr einseitig zusammen gesetzter Personenkreis untersucht wurde. Eine weitere Bestätigung dafür, dass eine Übertragung auf die Gesamtheit aller Pädophilen mit größter Vorsicht zu genießen ist.

 

Das Wechselspiel von Anlage und Umwelt

Selbst wenn man bei pädophilen Straftätern (oder auch bei abstinent lebenden Pädophilen) bestimmte neurologische Auffälligkeiten findet, so bedeutet das noch lange nicht, dass diese Auffälligkeiten tatsächlich angeboren sind. Neuere Ergebnisse aus der Täterforschung deuten nämlich darauf hin, dass viele Missbrauchstäter selbst eine traumatische Kindheit hatten. Heyden und Schattauer untersuchten die Biographien sowohl pädophiler als auch nicht-pädophiler Täter. Dabei kamen sie zu folgendem Fazit:

So heterogen sie sich phänomenologisch auch darstellen mögen, deuten ihr Erleben, Fühlen und Handeln, ihre Lebensgeschichten und ihre Psychophatologie darauf hin, dass es sich bei Missbrauchstätern um in ihrer Kindheit schwer traumatisierte und bindungsgestörte Menschen handelt, die über ihre traumatischen Erfahrungen in der Regel weder gesprochen noch sie verarbeitet haben. Der sexuelle Missbrauch von Kindern stellt für sie einen Versuch zur Bewältigung ihrer (meist innerfamiliären) Traumatisierungen dar.“

(Saskia Heyden / Kerstin Jarosch: „Missbrauchstäter. Phänomenologie – Psychodynamik – Therapie“, Schattauer, Stuttgart 2009, S. 195)

Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die neurobiologischen Studien in einem anderen Licht. Aus der Hirnforschung ist nämlich bekannt, dass nicht nur die Gene für die Entwicklung unserer Persönlichkeit verantwortlich sind, sondern dass umgekehrt auch unsere Lebenserfahrung die Entwicklung unseres Gehirns beeinflusst. Joachim Bauer ist Neurobiologe und Professor für psychosomatische Medizin an der Universitätsklinik Freiburg. Er bezeichnet den „permanenten Aufbau und Umbau von Nervenzellen-Verschaltungen des Gehirns in Abhängigkeit dessen, was wir erleben und tun“ als „erfahrungsabhängige Plastizität“ des Gehirns.7) Von besonderer Bedeutung ist diese Plastizität für die Persönlichkeitsentwicklung im Kindes- und Jugendalter, weshalb neurobiologische Erkenntnisse heute auch in die Pädagogik mit einfließen. Was Bauer als „erfahrungsabhängige Plastizität“ bezeichnet, beschreiben die Sozialforscher Hurrelmann und Bründel als Wechselspiel von Anlage und Umwelt in der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes:

Die gesamte funktionelle Architektur des Gehirns eine Kindes wird im erheblichen Umfang durch Signale aus der Umwelt beeinflusst. Der Organisationsprozess des Gehirns und damit des Steuersystems für die Persönlichkeit des kleinen Kindes ist auf ein Wechselspiel zwischen Signalen aus der Umgebung und den Genen angewiesen, wobei ein stetiger Umbau von Nervenzellen erfolgt, der bis ins Jugendalter anhält.“ 

(Klaus Hurrelmann / Heidrun Bründel: „Einführung in die Kindheitsforschung“, Beltz Verlag, Weinheim 2003, S. 49)

Die genetischen Voraussetzungen, die ein Mensch von Geburt an mitbringt, bestimmen die Persönlichkeitsentwicklung also nur zum Teil. Eine ebenso wichtige Rolle spielen auch Umwelteinflüsse in Form von Erziehung und Sozialisation, die das Kind in seinen frühen Lebensjahren mit auf den Weg bekommt. Durch diese Einflüsse wird die neurologische Entwicklung des Gehirns mitgeprägt, die dann ihrerseits wieder unseren Erfahrungsspielraum beeinflusst. Es gibt aber nicht nur positive Entwicklungsanreize, sondern auch negative. Kinder, die unter dauerhaften Bedingungen von Gewalt, Stress oder Traumatisierung aufwachsen, tragen nachhaltige Schäden in der Entwicklung ihres Gehirns davon, die sich mit modernen Messverfahren nachweisen lassen.7) 8) 

Vor diesem Hintergrund ist es keineswegs sicher, ob die neurobiologischen Auffälligkeiten, die man bei pädophilen Straftätern findet, tatsächlich angeboren sind. Es wäre auch denkbar, dass sie sich erst im Zuge problematischer Kindheitsentwicklungen ins Gehirn „eingebrannt“ haben. Für diese These spricht auch die Beobachtung, dass die hirnorgansichen Auffälligkeiten, die man bei pädophilen Straftätern gefunden hat, nicht spezifisch sind für das Störungsbild der Pädophilie, sondern auch bei anderen Krankheiten bzw. Verhaltensauffälligkeiten zu finden sind.9) Die US-amerikanische Psychiaterin Lisa J. Cohen weist auf einen möglichen Zusammenhang zwischen pädophilem Verhalten und eigenen Missbraucherfahrungen hin. Sie untersuchte pädophile Missbrauchstäter mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Dabei fand sie heraus, dass bestimmte Hirnregionen (Temporalkortex) in geringerem Maße aktiviert waren als bei nicht-pädophilen Kontrollprobanden. Zusätzlich erhob sie die biographischen Taten der untersuchten Sexualstraftäter. Dabei stellte sich heraus, dass 60% von ihnen als Kind selbst missbraucht wurden, woraufhin Cohen die These aufstellte, dass die neurologischen Auffälligkeiten eine Folge ebendieser Missbrauchserfahrungen sind.10)

Hinter der Vorliebe für biologische Erklärungsversuche steckt meines Erachtens der Wunsch, das Phänomen der Pädophilie (das auf viele Menschen immer noch sehr beängstigend wirkt) auf einen einfachen Nenner zu reduzieren, der sich klar benennen und gut beherrschen lässt. Manchmal ist damit auch die Hoffnung verbunden, dass sich die pädophilen Persönlichkeitsanteile mittels hirnorganischer Eingriffe (neurochirurgisch oder medikamentös) regelrecht „ausknipsen“ lassen, sobald die Forschung nur weit genug fortgeschritten ist. Ich glaube aber, diese Hoffnung wird sich niemals erfüllen. Das Zusammenwirken von Genen und Umwelteinflüssen ist derart eng miteinander verknüpft, dass sich bei bestimmten neurologischen Anomalien niemals mit letzter Sicherheit sagen lässt, ob sie angeboren sind oder im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung erworben wurden. Prof. Bauer bezeichnet den Widerstreit zwischen biographischen und genetischen Erklärungsmustern sogar als „unsinnigen Gegensatz“, da Gene und Umwelt untrennbar zusammenwirken.6) Vor diesem Hintergrund lässt sich wahrscheinlich auch die Frage, bis zu welchem Grad eine pädophile Ausrichtung auf eine hirnorganische Disposition zurückzuführen ist, niemals eindeutig beantworten.

 

Die Grenzen biologischer Erklärungsversuche

Bei aller Faszination für die Möglichkeiten der neurobiologischen Forschung muss immer gefragt werden, inwieweit diese Forschungen mir als pädophil empfindenden Menschen in meiner unmittelbaren Lebensproblematik weiterhelfen können. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass eine pädophile Ausrichtung tatsächlich genetisch determiniert wäre, so würde sich für mich als Betroffenen erst einmal nichts ändern. Ich stünde auch weiterhin vor dem unauflöslichen Dilemma, dass ich meine Sexualität nicht ausleben kann. Ich müsste mich auch in Zukunft ganz bewusst für den Weg der sexuellen Enthaltsamkeit entscheiden und mir auch in Zukunft immer wieder vor Augen halten, dass meine sexuellen Bedürfnisse mit denen des Kindes nicht kompatibel sind. Ich müsste mich auch zukünftig immer wieder neu motivieren, mich immer wieder beobachten und wenn notwendig auch immer wieder selbst in Frage stellen. Die mühevolle und lebenslange Arbeit an meiner Persönlichkeit kann mir die Hirnforschung nicht abnehmen. Die Frage nach dem konkreten Nutzen ihrer Erkenntnisse ist die Neurobiologie bislang schuldig geblieben.

Allein mit biologischen Ansätzen wird man das Phänomen der Pädophilie ohnehin nicht erklären können, denn eine pädophile Ausrichtung ist ein Persönlichkeitsmuster, das weit über biologische und hirnstrukturelle Faktoren hinaus geht. Bei der Pädophilie geht es – wie bei jeder anderen Sexualform auch – nicht nur um neuronale Versknüpfungen, sondern um tiefe und sehr persönliche Gefühle. Dem Pädophilen als Menschen wird man nur gerecht, wenn man ihn mit all seinen problematischen Gefühlen annimmt, anstatt diese Gefühle auf hirnorganische Vorgänge zu reduzieren. Ein heterosexueller Ehemann, der seine Frau über alles liebt und immer für sie da ist, wird es auch als befremdlich empfinden, wenn man seine Gefühle auschließlich unter hirnorganischen Gesichtspunkten betrachtet. Wer will sich schon anmaßen, das Gefühl der Liebe rein naturwissenschaftlich zu erklären? Auch in der Neurobiologie scheint man sich der eigenen Grenzen bewusst zu sein. Dazu noch einmal Prof. Bauer:

Was ein Mensch fühlt, wird sich niemals mit neurobiologischen Mitteln beschreiben lassen (die Neurobiologie wird nur herausfinden, welche biologischen ,Utensilien´ vorhanden sein müssen). Was ein Mensch fühlt, lässt sich ‒ außerhalb dieses Menschen ‒ nur durch das Mitgefühl eines anderen Menschen beschreiben.“

(Joachim Bauer: „Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern.“, Piper-Verlag, München 2004, S. 73)

Mit diesen Aussagen legt sich die neurobiologische Forschung eine klare Selbstbeschränkung auf. Zu Recht, denn die Gefühle eines Menschen, insbesondere die Liebe, verdienen Respekt und Achtung; und zwar unabhängig davon, ob sie sich hirnorganisch erklären lassen oder nicht. Dieser Anspruch ergibt sich schon allein aus der Menschenwürde. Dem Menschen in seiner Gesamtheit wird man mit einer rein biologischen Sichtweise nicht gerecht, solange sie nicht mit einer anerkennenden Werthaltung gegenüber der gesamten Persönlichkeit verbunden ist. Diesen Respekt vor ihrer Persönlichkeit und ihren Gefühlen können auch Pädophile erwarten; immer vorausgesetzt, sie gehen verantwortungsvoll mit diesen Gefühlen um und schaden niemandem damit. Entscheidend ist für mich als Betroffener nicht die Frage nach den Ursachen meiner sexuellen Gefühle für Kinder, sondern die Frage, wie ich mit diesen Gefühlen umgehe.

Anstatt sich auf allzu einseitige biologische Erklärungen zu konzentrieren, sollte man den Fokus lieber auf konkrete therapeutische Konzepte richten, bei denen es darum geht, pädophil empfindende Menschen in ihrer Persönlichkeit zu stärken und ihnen verantwortliche Lebenskonzepte aufzuzeigen. Das Entscheidende ist und bleibt: Wir als Pädophile müssen lernen, verantwortungsvoll mit unserer problematischen Neigung umzugehen, so dass wir niemals einem Kind damit schaden. Dazu brauchen wir hilfreiche und praxistaugliche Ratschläge für den Alltag, in denen der Einzelne sich mit seinen Problemen wiederfindet. Das scheint mir mehr zu bringen als eine akademische Diskussion unter Neurobiologen und Hirnforschern. Respekt und Achtung vor Kindern kann mir nämlich niemand ins Gehirn „einpflanzen“; sie sind das Ergebnis eines ganz individuellen Reifeprozesses, den ich mir nur selbst erarbeiten kann. Ob ich mehr oder weniger weiße Substanz im Gehirn habe als andere Menschen, interessiert mich da wenig. Das einzig wirklich Wichtige ist die Frage, wie ich im Alltag verantwortungsvoll mit Kindern umgehen kann.

 

Literatur:

1) Ist Pädophilie die Folge einer Fehlentwicklung im Gehirn?, Heise-online, 30.11.2007

2) Wiebking C, Witzel JG, Walter M, Gubka U, Northoff G: „Vergleich der emotionalen und sexuellen Prozessierung zwischen Gesunden und Patienten mit einer Pädophilie; eine kombinierte Studie aus Neuropsychologie und FMRT“. Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 2006

3) Frommberger P., Krippl M. Stolpmann G., Müller, J. L.: Neurobiologie der pädophilen Störung – eine methodenkritische Darstellung bisheriger Forschungsergebnisse“, Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 4, 2007

4) Schiffer B, Peschel T, Paul T, Gizewski E, Forsting M, Leygraf N, Schedlowski M, Krueger THC (2006a) „Structural brain abnormalities in the frontostriatal system and cerebellum in pedophilia“ Journal of Psychiatric Research. DOI 10.1016

5) Schiffer B.: „Neuronale Systeme in der Steuerung von normalem und deviantem Sexualverhalten“ Centaurus- Verlag, Herbolzheim 2006

6) Cantor, J. M., Kabani, N., Christensen, B. K., Zipursky, R. B., Barbaree, H. E., Dickey, R., Klassen, P. E., Mikulis, D. J., Kuban, M. E., Blak, T., Richards, B. A., Hanratty, M. K. & Blanchard, R. (2008). „Cerebral white matter deficiencies in pedophilic men.“ Journal of Psychiatric Research, 42, 167– 83.

7) Bauer, J.: „Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern.“, Piper-Verlag, München 2004

8) Braun AK, Bock J, Gruss M, Helmeke C, Ovtscharoff W, Schnabel R, Ziebreva I, Poeggel G.:„ Frühe emotionale Erfahrungen und ihre Relevanz für die Entstehung und Therapie psychischer Erkrankungen“, in: Strauß B, Buchheim A, Kächele H (Hrsg): „Klinische Bindungsforschung“ Stuttgart 2002

9) Fromberger P., Stolpmann K., Jordan J., Müller L.: „Neurobiologische Forschung bei Pädophilie Ergebnisse und deren Konsequenzen für die Diagnostik pädosexueller Straftäter.“, Zeitschrift für Neuropsychologie 20 (3), Verlag Hans Huber Hogfrefe AG, Bern 2009)

10) Cohen LJ, Nikiforov K, Gans S, Poznansky O, McGeoch P, Weaver C, King EG, Cullen K, Galynker I (2002) Heterosexual male perpetrators of childhood sexual abuse: a preliminary neuropsychiatric model. Psychiatric Quarterly

aktualisiert: 01.11.2011