Montag, 22.10.2018

Mit Schock zum Glück ‒ das Thema Impulskontrolle

von Max

 

Mir fehlte die ganze Therapie durch ein klares Bild, wie Impulskontrolle aussehen kann, von der alle redeten – davon, wie sie sich anfühlt. An einer Begebenheit möchte ich mal plastisch schildern, wie Verhaltenskontrolle bei mir persönlich aussieht, anhand der wohl extremsten Belastungssituation in diesem Bereich, die ich je erlebt habe. Zugetragen hat sich das im letzten Drittel meiner Therapie an der Charité (im Rahmen des Projekts Dunkelfeld).

Ein Mädchen von 7 Jahren, Tochter einer Bekannten, wollte auf meinen Arm. Noch dazu etwa das attraktivste Kind, dass ich kenne. Noch dazu war die Situation so, dass es ziemlich doof ausgesehen hätte sie zu ignorieren, was ich zunächst versuchte. Die Zeit, die ich dadurch gewann, nutzte ich, die Situation im Kopf auseinander zu nehmen und zu bewerten: Kann ich das? Was könnte gefährlich werden? Was tue ich definitiv nicht?... Ich schickte ein Stoßgebet um Kraft und Weisheit gen Himmel und entschloss mich, das Mädel auf den Arm zu nehmen, wenn sie nochmals rufen würde. Was sie natürlich tat.

Ich nahm sie aus Mutterns Armen entgegen. Dabei vermied ich es zum Beispiel, sie unter dem Po zu halten, und platzierte meine Hände kurz darüber. Gedanken an Nutzungsmöglichkeiten dieser Situation im Sinne der Pädophilie keimten auf, ließen sich aber mit einem entschiedenen „Nein“ wegschieben. (Sonst hätte ich sie sofort wieder abgesetzt) So hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Kind auf dem Arm! Und sie lehnte sich zurück und strahlte mich an – ein herrlicher Augenblick!

Dann wollte sie wieder runter und ich ließ sie. Alles gut, herrlich sauber, alles klar... doch dann blieb sie im Runtersetzen am Karabinerhaken meiner Umhängetasche hängen! Mit der Strumpfhose!! Daraufhin habe ich quasi Blut und Wasser geschwitzt: Ich hockte etwa einen Meter von dem Mädchen weg und beobachtete, wie die Mutter an dem Versuch scheiterte, den Haken zu öffnen, was nur mit einem kleinen Trick geht.

Für mich die ultimative Belastung: 1. Ich weiß, dass ich helfen muss, und 2. dadurch aber definitiv mehr Nähe zum Kind entstehen würde, als ich für gut hielt. Es waren nur Zentimeter zwischen Karabinerhaken und Schritt des Kindes. Schon eine unmerkliche Verrenkung im Handgelenk hätte vermutlich ausgereicht, mit dem Handrücken kurz ihren Schritt zu berühren – völlig ungesehen. Und die Ausrede: Ich muss ja an das Kind ran! Schon diese Abwägung habe ich in dieser Situation im Keim erstickt und mir stattdessen bewusst gemacht, dass ich damit dem Kind, das mir gerade so eine große Freude gemacht hat – in dem es meine Nähe suchte, in dem es gezeigt hat „Ich fühl mich bei dir wohl“, und und und – unglaublich wehtun würde!

Nach einem weiteren Stoßgebet habe ich beschlossen einzugreifen. Ich habe den Haken gelöst, mir dabei aber strikt jede Bewegung in Richtung Schritt verboten. Zusätzlich habe ich noch die Sicherheitssperre eingelegt, auch keinesfalls nach ihrem Schritt zu schauen, sondern mich allein auf das Lösen des Hakens zu konzentrieren. Und wenn er raus ist, dann nicht erst nach dem Zustand der Strumpfhose zu sehen, sondern sofort weg, auf mindestens eine Armlänge Abstand. Und es hat geklappt!

Diese Situation hat mich mehrere Dinge gelehrt. Zum einen ist mir Selbstkontrolle möglich! Ich kann, mit dem richtigen Respekt vor der Aufgabe und entsprechender Vorbereitung, auch Situationen von Körperkontakt zu Kindern meines Präferenzbereichs, wie das auf den Arm nehmen, kontrollieren. Eine große Erleichterung, das zu begreifen. Dann habe ich aber auch gesehen, dass eine völlig beherrschte und gute Situation ganz unberechenbar ausbrechen kann. Das mit dem Karabinerhaken bewerte ich als etwas, was eigentlich meine Fähigkeiten übersteigt. Ich werde mit Sicherheit keine solche Situation extra suchen! Andererseits habe ich gesehen: Ich drehe eben nicht automatisch ab, wenn etwas Anregendes passiert, wenn unvermittelt eine riesige Versuchung vor mir steht, wie es das klassische Bild des Triebtäters wäre. Aber es hat viel Kraft gekostet.

Und weiter habe ich erlebt, wie unglaublich schön ein Kontakt zu einem Kind sein kann, in dem ich die Impulse beherrscht und die Gedanken weggeschoben habe, die ich vor der Therapie nur genährt hätte. Wie die Kleine sich mit den Händen an meinem Hals festhält, sich zurücklehnt und mich anlächelt – das Bild ist mir ein Symbol für das, was maximal erreichbar sein könnte, wenn ich es schaffe, die Impulse konsequent zu erkennen und zu blocken. Denn: Nur einmal „loslassen“ und all das zerbricht:

Das Mädchen.

Sein (Ur)Vertrauen.

Das Vertrauen meiner Mitmenschen.

Ich selber.

Meine Arbeit in der Therapie.

Meine Freiheit.

...meine Daseinsberechtigung.

So ist das einerseits ein riesiger Glücksmoment geworden, andererseits ein lehrreicher Schock.

————————————————————————

Nachtrag: Inzwischen habe ich auch Kontaktsituationen, auch Körperkontakte, erlebt, bei denen ich kaum noch bewusst irgendwelche Gedanken bekämpfen musste. Mein Prinzip ist, dass ich da innerlich Stopp sage, wo ich meiner Natur gemäß beginnen würde, nach erregenden Momenten an einem Kontakt zu suchen, Dingen, mit denen man Fantasien füttern könnte. Mit diesem System habe ich bisher schon einen Zustand erreicht, der sich völlig normal anfühlt. Allein, dass mir diese Kontakte und gerade Berührungen mehr bedeuten als anderen. Und darauf passe ich permanent auf.


__________________________________________

© 2009 Max

aktualisiert: 01.11.2011