Gruppentherapie und Pharmakotherapie
Viele Sexualtherapeuten bieten Gruppentherapien an. Diese Gruppen sind in der Regel für Pädophile gedacht, die bereits straffällig geworden sind. Viele Teilnehmer stehen unter einer gerichtlichen Behandlungsauflage, so dass die Motivation oft eher durch Druck von außen zustande kommt als durch eigene Einsicht. Ob eine Therapie unter solchen Voraussetzungen überhaupt Sinn macht, ist sehr heftig umstritten. Ich vertrete den Standpunkt, dass eine Therapie von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, wenn sie nicht aus bedingungsloser Eigenmotivation zustande kommt. Es gibt natürlich auch straffällig gewordene Pädophile, die den festen Willen haben, sich zu verändern und nicht wieder rückfällig zu werden. Gerade für solche Leute kann eine Gruppentherapie sehr hilfreich sein, denn hier bekommen sie viele wertvolle Rückmeldungen von außen, die Ihnen dabei helfen können, sich von festgefahrenen Gedanken- und Verhaltensmustern zu lösen.
Die Gruppen besteht aus einer überschaubaren Teilnehmerzahl von etwa 8 bis 10 Patienten, dazu kommen 1 bis 2 Therapeuten, von denen einer eine sexualmedizinische, der andere eine verhaltenstherapeutische Ausbildung hat.1) In der Gruppe sollen die Patienten dazu angeleitet werden, gemeinsam über ihr Verhalten zu reflektieren. Durch gegenseitige Rückmeldungen sollen Verhaltensmuster aufgedeckt werden, die man bei sich selbst nicht bewusst wahrnimmt. Das ist insbesondere bei bestimmten Manipulationsstrategien von Bedeutung, mit denen Pädophile die erträumte „Einvernehmlichkeit“ mit Kindern herstellen. Solche Strategien sind für andere viel leichter zu erkennen als für den Betroffenen selbst, kritische Rückmeldungen von außen können da ein wirkungsvoller Spiegel sein. Was mich betrifft, so hat man mir einst von der Teilnahme an einer solchen Gruppe ausdrücklich abgeraten. Ich würde nicht in die bestehende Gruppen passen, da diese ausschließlich aus Männern bestünde, die bereits straffällig geworden seien und unter einem ganz anderen Triebdruck stünden.
Damit kommen wir zur nächsten und zugleich sehr heiklen Frage: Was kann ich tun, wenn ich die Befürchtung habe, meinen sexuellen Trieb aus eigener Kraft nicht mehr lange unter Kontrolle halten zu können? Dies ist einer der wenigen Punkte, zu dem ich aus eigener Erfahrung nicht viel sagen kann, denn ich selbst habe meinen Trieb nie als besondere Belastung erlebt. Ich weiß aber auch, dass es vielen Betroffenen anders geht und dass sie teilweise stark unter ihren triebhaften Bedürfnissen leiden. Das ist nicht nur für sie selbst eine große Belastung, sondern erhöht natürlich auch die potentielle Gefahr eines sexuellen Übergriffs.
Pharmakotherapie: Behandlung mit Medikamenten
Grundsätzlich gibt es heutzutage die Möglichkeit, einen übersteigerten Geschlechtstrieb mit Hilfe von Medikamenten zu behandeln. Es gibt hochwirksame Medikamente aus der Gruppe der Antiandrogene, die das sexuelle Verlangen auf nahezu Null reduzieren oder zumindest stark eindämmen, je nach Dosierung. Immer vorausgesetzt natürlich, der Patient nimmt diese Medikamente regelmäßig ein, weshalb auch hier die Eigenmotivation ganz entscheidend für den Therapieerfolg ist. Die Antiandrogene neutralisieren die Wirkung des männlichen Geschlechtshormons Testosteron und bringen auf diese Weise auch den geschlechtlichen Trieb zum Erliegen. Das bekannteste Medikament aus dieser Gruppe ist der Wirkstoff Cyproteronacetat, bekannt unter dem Markennamen Androcur®.
Da die Antiandrogene tief in das Hormonsystem eingreifen, kann die Behandlung mit solchen Medikamenten erhebliche Nebenwirkungen nach sich ziehen, über die man sich unbedingt vom Arzt aufklären lassen sollte. Erektionsprobleme und Brustvergrößerung sind typische Nebenwirkungen, auch Leberfunktionsstörungen, Herz-Kreislauf-Probleme oder Magen-Darm-Beschwerden können auftreten. Daneben finden sich Beschwerden, die normalerweise für Frauen (mit ihrem ohnehin sehr niedrigen Testosteronspiegel) typisch sind, von Hitzewallungen bis hin zur Osteoporose.
Nicht ganz so schwere Nebenwirkungen haben die Medikamente aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die dafür aber das sexuelle Verlangen weitaus weniger dämpfen. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (kurz: SSRI) sind Medikamente, die eigentlich gegen Depressionen verschrieben werden. Da sie (normalerweise als unerwünschte Nebenwirkung) aber auch das sexuelle Verlangen dämpfen, werden sie seit einigen Jahren auch in der Behandlung sexueller Präferenzstörungen eingesetzt.
In jüngster Zeit laufen Behandlungsversuche mit einem weiteren Medikament namens Naltrexon, bekannt unter dem Handelsnamen Nalorex®. Dieser Wirkstoff hat sich in der Behandlung unterschiedlicher psychischer Erkrankungen bewährt, vor allem in der Suchttherapie zur Unterdrückung von Entzugserscheinungen. In einer Studie mit jugendlichen Sexualstraftätern wurde festgestellt, dass es unter der Behandlung mit Naltrexon zu einer deutlichen Annahme des sexuellen Verlangens kam. Die Nebenwirkungen sollen insgesamt geringer ausfallen als in der klassischen Hormonbehandlung, so dass hier Zukunft möglicherweise eine weitere Therapieoption zur Verfügung steht.2).
Ob eine medikamentöse Therapie angezeigt ist oder nicht, muss ein Arzt entscheiden. Ein Psychologe kann solche Medikamente nicht verschreiben und wird dazu immer einen Facharzt konsultieren. Bei länger andauernder Medikamenteneinnahme werden zumeist regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen durchgeführt, damit man eventuelle Nebenwirkungen frühzeitig erkennen kann. Dazu gehört vor allem die regelmäßige Kontrolle der Blutwerte, die man aber bei jedem Hausarzt durchführen lassen kann.
Eine reine Pharmakotherapie wird als wenig erfolgversprechend angesehen, denn das Hauptproblem der meisten Pädophilen liegt nicht auf der Triebebene, sondern auf der Wahrnehmungsebene. Viele Pädophile leiden an einem Phänomen, dass in der Psychologie als narzisstische Fixierung oder narzisstische Projektion bekannt ist: Sie können ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse nicht mehr von den Bedürfnissen des Kindes unterscheiden. Sie denken: „Was für mich gut ist, ist auch für das Kind gut, denn ich liebe meinen kleinen Freund und will nur das Beste für ihn." Dabei blenden sie systematisch aus, dass sich Kinder und Erwachsene auf ganz unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden. Die entwicklungspsychologisch bedingten Bedürfnisse eines Kindes nach Liebe und Zärtlichkeit sind nicht mit den sexuellen Sehnsüchten eines pädophilen Erwachsenen zu vergleichen. Für Pädophile dagegen ist dieser Unterschied oft kaum zu verstehen, weil sie so stark von ihren eigenen Bedürfnissen dominiert werden, dass sie nur das sehen, was sie insgeheim sehen wollen.
Solange der Pädophile diese Wahrnehmungsverzerrung nicht aus eigener Kraft durchbrechen kann, macht es wenig Sinn, das Problem allein mit triebdämpfenden Medikamenten anzugehen. Wie sagt man so schön: Sexualität beginnt im Kopf! Das bedeutet: Niemand wird seinen Trieb unter Kontrolle halten können, solange er nicht einsieht, warum er verzichten muss. In der Psychotherapie muss es deshalb zunächst darum gehen, die Wahrnehmungsverzerrung zu durchbrechen: Die Mechanismen der eigenen Selbsttäuschung müssen erkannt und benannt werden, damit man sie ersetzen kann durch eine realistischen Sichtweise zugunsten des Kinderschutzes. Erst in diesem Zusammenhang macht eine medikamentöse Behandlung überhaupt Sinn. Konkrete Erfahrungsberichte von pädophilen Patienten, die sich für eine Pharmakotherapie entschieden haben, finden sich unter: Erfahrungen mit Medikamenten.
Wirkungen und Nebenwirkungen
Eine medikamentöse Behandlung kann auch Sinn machen zur Behandlung einer Depression, die häufig als Sekundärsymptomatik auftritt. Durch Medikamente allein lässt sich eine Depression zwar nicht überwinden, aber sie können helfen, anders damit umzugehen und bestimmte Dinge gelassener hinzunehmen. Es gibt heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Medikamenten, die gegen Depressionen und depressive Verstimmungen wirksam sind. Da diese Medikamente direkt auf das Zentralnervensystem wirken, können auch sie mitunter störende Nebenwirkungen entfalten. Dazu können z. B. gehören: Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Unruhe oder Erregung, Schlafstörungen, Appetitsteigerung mit Gewichtszunahme, Bewegungs- und Koordinationsstörungen, Kopfschmerzen oder Veränderungen der Blutwerte. Aufgrund der großen Bandbreite der heute zur Verfügung stehenden Wirkstoffe lässt sich aber für praktisch jeden Patienten ein Medikament finden, das individuell gut verträglich ist. Eine besondere Bedeutung haben hier die schon erwähnten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, da man mit ihnen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann: Sie dämpfen das sexuelle Verlangen und wirken gleichzeitig gegen Depressionen. Auch für eine Behandlung mit antidepressiven Medkamenten gilt, dass sie nur dann Sinn macht, wenn sie gleichzeitig mit psychotherapeutischen Maßnahmen erfolgt und mit einer Änderung der Lebenssituation einhergeht.
Unabhängig von der Sexualität sollte man auch als Pädophiler in der Lage sein, mit Gleichaltrigen auszukommen und stabile Kontakte mit anderen Erwachsenen einzugehen. Gerade für Pädophile ist es nämlich sehr wichtig, dass sie sich auch mit ihren erwachsenen Seiten annehmen und akzeptieren können, was ihnen oft schwer fällt. Ein mögliches Therapieziel kann daher auch in der gezielten Förderung des Kontakts zu Erwachsenen liegen. Dazu kann es hilfreich sein, regelmäßig etwas mit Gleichaltrigen zu unternehmen. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Man kann z. B. kulturelle Veranstaltungen besuchen, mit Arbeitskollegen ausgehen, einem Sportverein beitreten oder an einem Volkshochschulkurs teilnehmen. Solche Aktivitäten können mir helfen, gemeinsame Interessen mit anderen Erwachsenen zu finden und mich nicht ausschließlich in die kindliche Gefühlswelt zurückzuziehen. Auch als Pädophiler braucht man seine erwachsenen Freunde, mit denen man einen Kontakt auf gleicher Ebene aufbauen kann. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass der Kontakt allein zu Kindern auch nicht glücklich macht, denn auch die erwachsenen Seiten in mir müssen angesprochen und gefördert werden. Die kindliche und die erwachsene Seite miteinander in Einklang zu bringen, das ist für Pädophile oft eine lebenslange Aufgabe.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine gute Therapie immer den ganzen Menschen mit berücksichtigt und seine gesamte Lebenssituation mit einfließen lässt. Eine einseitige Therapie, die z. B. nur die Triebkontrolle im Blick hat, ist zu kurz gegriffen und wird kaum eine nachhaltige Veränderung erwarten lassen. Wachsen und weiterentwickeln kann ich mich nur als ganzer Mensch, mit allen Facetten, die mich als Persönlichkeit ausmachen. Das wirklich Entscheidende bei jeder Therapie ist aber immer noch die Motivation, und zwar eine Motivation, die aus mir selbst herauskommt und mir nicht von außen aufgedrückt wurde. In der Psychologie unterscheidet man zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation.1) Die intrinsische Motivation kommt aus eigenem Antrieb und aus tiefer innerer Überzeugung zustande, so dass der Betroffene sich uneingeschränkt mir ihr identifiziert. Die extrinsische Motivation ist nicht wirklich authentisch; sie kommt aufgrund äußeren Drucks oder einer äußeren Erwartungshaltung zustande. Bei der Pädophilie gibt es ohne eine authentische, intrinsische Motivation keinen verlässlichen Therapieerfolg. Wenn sie nicht oder nur ungenügend vorhanden ist, dann kann man sich die Mühe – meiner Meinung nach – genauso gut schenken.
Literatur:
1) Ahlers Ch. J., Schaefer G. A., Feelgood S. R., Goecker D., Neutze J., Mundt I. A., Hupp E., Beier K. M. (2006): „Das Präventionsprojekt Dunkelfeld“, Vortrag auf der 21. Forensische Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Methodologie und Dokumentation in der Forensischen Psychiatrie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Ludwig-Maximilian Universität München, 05.bis 07.10.2006 (aktualisierte Unterlagen von 2009)
2) Berner W., Briken P. (2007): „Störung der Sexualpräferenz (Paraphilie) – Diagnostik, Ätiologie, Epidemiologie, und präventive Aspekte“, Bundesgesundheitsblatt Vol. 50, Nr.1, S. 33-43)