Montag, 22.10.2018

Wider den Trend


 von Marco


4. Oktober 2009:
SOWIESO ist ein noch sehr junges Online-Nachrichtenmagazin für Kinder und Jugendliche, das vor gut einem halben Jahr an den Start gegangen ist. Der Anspruch ist es, Kindern das aktuelle Geschehen aus Politik und Gesellschaft in altersgerechter Weise zu erklären. Dabei sollen auch umfangreiche Hintergrundinformationen aufgezeigt werden, anhand derer sich die Kinder selbst eine Meinung bilden können. Auf diese Weise sollen die Kinderrechte auf Information und Meinungsbildung ‒ die auch in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben sind ‒ unterstützt und gestärkt werden. Das Angebot ist vielfältig. So gibt es z. B. eine Rubrik mit aktuellen Nachrichten aus Deutschland und aller Welt, aber auch ein kleines Lexikon, in dem wichtige Schlagworte aus Politik und Gesellschaft kindgerecht erklärt werden. In dieser Rubrik wird auch der Begriff „Pädophilie“ erklärt:

Pädophilie

Gerade bei Kindern dürfte es schwer sein, für so einen schwierigen Begriff die richtigen Worte zu finden, doch der Artikel nähert sich dem Problem auf erstaunlich unkonventionelle Weise. Es wird erklärt, dass es sich bei Pädophilen um Erwachsenen handelt, „deren sexuelle Wünsche sich ausschließlich oder überwiegend auf Kinder vor der Pubertät“ richten. Diese Beschreibung entspricht exakt der heutigen sexualmedizinischen Definition; sicher stark an Wikipedia angelehnt, aber inhaltlich absolut korrekt. Es folgt der Hinweis, dass nicht die pädophilen Gedanken strafbar oder verboten sind, sondern lediglich die Umsetzung dieser Gedanken. Anschließend erfahren die jungen Leser, dass etwa ein Prozent der erwachsenen Männer pädophil sind, wobei sie sich entweder zu Mädchen oder zu Jungen hingezogen fühlen. Es wird auch betont, dass es keine genauen Zahlen gibt, da die meisten Betroffenen sich nicht freiwillig zu erkennen geben, da keine andere Randgruppe in dieser Gesellschaft so massiv abgelehnt wird wie die Pädophilen. Der abschließende Hinweis auf die fehlenden Therapieplätze und auf den Pioniercharakter des Charité-Projekts ist ein wichtiger Aspekt, den man auf vielen „Erwachsenenseiten“ schmerzlich vermisst.

Ich finde diesen Artikel wirklich beachtlich, weil er sich dem immer noch weit verbreiteten Trend entgegenstellt, Pädophile ständig als den Inbegriff des Bösen darzustellen; als den gefährlichen und unkontrollierten Triebtäter, der jederzeit darauf lauert, über Kinder herzufallen. Die Sowieso-Redakteure scheinen dagegen mit einer Unvoreingenommenheit an die Sache heranzugehen, die man selbst unter Journalisten nur sehr selten findet. Sie berichten sachlich, wertneutral ‒ und was das Wichtigste ist: Sie orientieren sich strikt an den Fakten, ohne irgendwelche medialen Klischees zu bedienen, die sich schon längst in den Köpfen der Mehrheit festgesetzt haben. Umso mehr freue ich mich, dass man bei SOWIESO den Mut hatte, mit dem unsäglichen Vorurteil vom bösen Triebtäter zu brechen und darauf hinzuweisen, dass es auch noch eine andere Seite gibt; nämlich den reflektiert und verantwortungsvoll handelnden Pädophilen, der nach Hilfe sucht, die er oftmals nicht findet.

Auf der anderen Seite erweckt der Artikel ein wenig den Eindruck, als wolle er allzu sehr auf kindliches Mitgefühl setzen; auf Solidarität mit einer oft zu unrecht verachteten Gruppe dieser Gesellschaft. So sympathisch ich diesen Ansatz auch finde: Ob er wirklich im Sinne einer kindgerechten Berichterstattung ist, daran habe ich meine Zweifel. So vermisse ich z. B. jeden Hinweis, dass es nicht nur „gute“ und einsichtige Pädophile gibt, sondern auch Männer, die sich mit hoher krimineller Energie in das Vertrauen von Kindern einschleichen, um sie skrupellos zu missbrauchen. Natürlich ist es falsch, Kindern Angst zu machen oder sie zu dumpfem Schwarz-Weiß-Denken zu verleiten. Ganz im Gegenteil: Man kann nicht früh genug damit anfangen, Kinder zu einem differenzierten und besonnenen Denken anzuleiten.

Genauso wichtig ist es aber, Kinder über berechtigte Gefahren aufzuklären, die gerade beim Thema Pädophilie oft so gut getarnt daher kommen, dass die Kinder sie nicht aus eigener Kraft durchschauen können. Die Existenz einer kriminellen Pädophilen-Szene ist traurige Realität, genauso wie die erschreckend hohe Zahl an missbrauchten Kindern. Dieser Teil der Wirklichkeit wird bei SOWIESO vollständig ausgeklammert. Das ist die einzige Schwäche des Artikels, so begrüßenswert der vorurteilsfreie Ansatz ansonsten auch ist. So bleibt auch diese Pädophilie-Darstellung einseitig, wenn auch auf eine sicherlich gut gemeinte Art.

Trotzdem ist der Artikel ein überaus anerkennenswerter Vorstoß, ein bisschen mehr Sachlichkeit in die Pädophilie-Debatte zu bringen. Wie auch schon beim Sex-Lexikon von Mellvill freue ich mich, dass es auch diesmal wieder eine Kinder- und Jugendseite ist, wo man den Mut hatte, mit dem Klischee vom bösen Kinderschänder zu brechen. Das gibt mir die Hoffnung, dass die nachfolgende Generation vielleicht ein bisschen aufgeklärter und differenzierter an das Thema Pädophilie (und andere gesellschaftlich brisante Fragen) herangehen kann, als das bei der heutigen Erwachsenengeneration der Fall ist. Zu wünschen wäre es auf jeden Fall.

aktualisiert: 18.03.2013