Montag, 22.10.2018

TV-Kritik: Johannes B. Kerner
 

von Marco


8. Oktober 2007:
Es sollte wohl ein richtiger Themenabend werden: Nachdem zuvor bereits die Reportage von Manfred Karremann lief (Außer Kontrolle – Kindesmissbrauch und Prävention), beschäftigte sich am 2. Oktober zu später Nacht auch noch Johannes B. Kerner in seiner Talkshow mit dem Themenkomplex Pädophilie und sexueller Missbrauch.

Dazu wurden zwei Gäste eingeladen, wie sie gegensätzlicher nicht sein konnten: Norbert Denef und Prof. Beier. Denef wurde als Kind über Jahre hinweg von einem Priester sexuell missbraucht. Viele Jahre später erhielt er von der katholischen Kirche eine „Entschädigung“ in Höhe von 25.000,- Euro, aber nur unter einer Bedingung: Die Öffentlichkeit durfte nichts von dem Fall erfahren. Doch Denef ließ sich nicht erpressen und machte sein Schicksal publik, wo er nur konnte. Aus dem einstigen Opfer ist ein mutiger Kämpfer geworden: Seit 18 Jahren engagiert sich Denef gegen sexuellen Missbrauch und hat seine Geschichte u. a. in einem Buch bewältigt (Ich wurde sexuell missbraucht). Bei Johannes B. Kerner erzählte er sichtlich bewegt von seinem Schicksal. Denef gilt als scharfer Kritiker des Charité-Projekts, empfindet den Slogan „Lieben Sie Kinder mehr als ihnen lieb ist?“ als unerträgliche Opferverhöhnung. Durchaus verständlich, denn was er erleben musste, hatte mit Liebe nicht das Geringste zu tun.

Als Gegenpart kam später Prof. Beier dazu. Nüchtern und sachlich berichtete er vom Grundgedanken des Charité-Projekts: Es gibt pädophile Männer mit einem Problembewusstsein, denen man Hilfe anbieten muss, ohne sie für ihre Neigung zu verurteilen. Es knisterte förmlich vor Spannung: Auf der einen Seite Prof. Beier als Tätertherapeut, ruhig und streng analytisch. Auf der anderen Seite Norbert Denef als ehemaliges Missbrauchsopfer mit einer ungeheuerlichen Lebensgeschichte, die wohl niemanden kalt lassen kann. So eine schwierige Konstellation erfordert ein ganz besonders Fingerspitzengefühl, das hätte eigentlich jedem klar sein müssen. Doch das sicherlich gut gemeinte Vorhaben ging gründlich daneben, wofür man weder Herrn Denef noch Herrn Prof. Beier einen Vorwurf machen kann, denn beide haben ihr Anliegen vertreten, so gut es ging.

Der Vorwurf geht ganz klar an die Kerner-Redaktion, wo man meinte, man könnte so ein hochsensibles Thema mal eben schnell in die letzten Sendeminuten quetschen. Es kam, wie es kommen musste: Kaum kamen Denef und Beier miteinander ins Gespräch (Wo gibt es diese Chance sonst?), wurde die Diskussion urplötzlich wieder abgewürgt mit dem Hinweis auf die abgelaufene Sendezeit. Es wurde schnell mal an der Oberfläche gekratzt, man hat Emotionen aufgewühlt und Fragen gestellt, die dann völlig unbearbeitet wieder liegen gelassen werden mussten, ohne dass es zu einem halbwegs befriedigenden Abschluss kam. Es drängte sich der Eindruck auf, man hat sich den größten Quotenrenner ganz bewusst bis zum Schluss aufgehoben, um die Zuschauer am vorzeitigen Abschalten zu hindern.

So ein Vorgehen ist absolut unverantwortlich, denn Pädophilie und sexueller Missbrauch sind keine „Fließband-Themen“, die man im 5-Minuten Takt abhandeln kann wie irgendwelchen Alltags-Smalltalk. Dafür muss man sich Zeit nehmen, notfalls eine ganze Sendung lang. Wenn das Format der Sendereihe das nicht hergibt, dann sollte man es lieber bleiben lassen und das Thema an anderer Stelle einbringen, wo man es mit der gebührenden Sorgfalt behandeln kann. Die Kerner-Redaktion ist diesem Anspruch jedenfalls nicht gerecht geworden, das muss man leider so deutlich sagen. Johannes B. Kerner war zwar sichtlich bemüht, aber wenn die Regie ihm die Sendezeit kappt, dann ist auch der beste Moderator machtlos.

Was blieb, war ein absolut unbefriedigender und letztendlich auch unwürdiger Ausgang, denn auf diese Weise darf man so ein schwer verdauliches Thema nicht servieren. Der Sache selbst hat man damit einen Bärendienst erwiesen, von dem keiner etwas hatte. Auf seine Kosten kam allenfalls noch ein Dieter Gieseking, der das ZDF-Forum wieder einmal für seine Selbstdarstellung zu nutzen versuchte. Die Redaktion reagierte hilflos, löschte die entsprechenden Threads und unterband jede weitere Diskussion. Nach der missratenen Sendung ein weiterer Gesichtsverlust für die Kerner-Redaktion: Erst schneidet man so ein heikles Thema an, und dann hat man noch nicht einmal den Mut, sich hinterher der Diskussion zu stellen. Peinlicher hätte es kaum kommen können, deshalb das ernüchternde Fazit: Wenn man sich mit einem Thema überfordert fühlt, dann sollte man es lassen!

aktualisiert: 30.04.2011