Montag, 22.10.2018

Mein sexuelles Selbstbild früher und heute

von Marco

 

Nach längerer Zeit melde ich mich mit Neuigkeiten zurück, die einiges an Klarheit in meine eigene Sexualität bringen und rückwirkend vielleicht auch in die Geschichte von „Schicksal und Herausforderung“. Wie an früherer Stelle erwähnt, gehe ich seit gut zwei Jahren wieder zur Sexualtherapie, weil mein Aufarbeitungsbedarf nach wie vor groß ist. Mein jetziger Therapeut ist erfahrener Sexualmediziner und anerkannter Pädophilie-Spezialist, der auch schon viele pädophile Straftäter begutachtet hat. Ich habe ihn mir als Spezialisten gezielt ausgesucht und diese Wahl nie bereut.

Schon in der Anfangszeit fragte ich meinen Therapeuten, wie er mich diagnostisch einschätzt, weil mich mein unerwartetes Interesse an der Erwachsenensexualität, das vor einigen Jahren aufkam, stark verunsichert hatte. Ich wusste bis vor kurzem nicht, wie ich diese unerwarteten (und lange Zeit unvorstellbaren) Veränderungen einschätzen soll. Wenn man davon ausgeht, dass eine kernpädophile Präferenz ein unveränderbarer Bestandteil der Persönlichkeit ist (wie es in vielen Fachpublikationen nachzulesen ist), dann dürfte es eine solche Weiterentwicklung eigentlich nicht geben, wie ich sie an mir erlebt habe. Deshalb hat mich die Meinung eines Fachmanns interessiert.

Mein jetziger Therapeut sieht nach heutigem Stand keine Kernpädophilie bei mir, sondern eine „pädophile Nebenströmung“. Die Ansprechbarkeit für erwachsene Frauen sei wahrscheinlich schon immer da gewesen, aufgrund meiner schwierig verlaufenen Jugend (mit vielen Lebenskrisen und biographischen Brüchen) konnte ich meine Erwachsenensexualität aber nie zulassen, hätte sie stattdessen verdrängt und mit vielen Ängsten besetzt. Bei mir vermischen sich Elemente der klassischen Pädophilie (zeitlich überdauerndes Interesse an Kindern) mit Verhaltensmustern, wie man sie von potentiellen Ersatzhandlungstätern kennt; nämlich Vermeidung von Erwachsenensexualität aus Unsicherheit, mangelndem Selbstwertgefühl, Angst vor Zurückweisung und Enttäuschung.

Ängste und schmerzhafte Fragen

Ich will versuchen, den letzten Punkt näher zu erläutern. Früher dachte ich, es müsste ein unvorstellbares Glück sein, eine „normale“ Erwachsenensexualität zu besitzen, die man ohne schlechtes Gewissen ausleben kann. Eine Sexualität, mit der man einen Partner finden kann, mit dem man glücklich wird und gegenseitige Erfüllung findet. Praktische Erfahrung mit Erwachsenensexualität habe ich immer noch nicht, aber ich beginne zu erahnen, dass mein früheres Bild von Erwachsenensexualität kindlich und naiv war. Die Erwachsenensexualität scheint keineswegs das paradiesische Glück zu sein, als dass ich sie mir früher (in meiner rein pädophilen Zeit) vorgestellt hatte. Das fängt schon damit an, dass es verdammt schwer ist, überhaupt eine Partnerin zu finden. Sofern man nicht der große „Frauenheld“ ist, sondern ein schüchterner, zurückhaltender und unscheinbarer Typ, muss man schon sehr viel Geduld mitbringen, bevor es (vielleicht…) irgendwann klappt. Das war eine bittere Erkenntnis für mich, die ich früher vielleicht gar nicht ertragen hätte.

Hier lag meine ersten große Desillusionierung, als ich gemerkt habe: Auch in der Erwachsenensexualität gibt es keine Garantie auf Glück und Erfüllung; auch hier gibt es viele Menschen, die über längere Zeit einsam sind und nicht die Erfüllung finden, nach der sie sich sehnen. Ein Selbstläufer ist die Partnersuche auch unter Erwachsenen nicht. Im Gegenteil: Man wird mit vielen Ängsten konfrontiert, die schmerzhaft und schwer auszuhalten sind. Da muss ich mich z.B. der Frage stellen, ob ich in meinem Alter ‒ ganz ohne jede Vorerfahrung ‒ überhaupt noch eine realistische Chance habe, jemals eine Partnerin zu finden. Werde ich einer Frau geben können, was sie von einem erwachsenen Mann erwartet? Oder bin ich chancenlos gegen all die anderen Männer, die vielleicht viel mehr zu bieten haben als ich? Was kann ich umgekehrt von einer Frau erwarten und was nicht? Werde ich eine Frau finden, die mich als Mensch akzeptiert, wie ich bin, auch mit meinen Fehlern und Schwächen? Kann mir Sexualität unter Erwachsenen wirklich das Glück und die Erfüllung bringen, die ich mir davon erhoffe? Oder wird es am Ende auf Frust und Enttäuschung hinauslaufen?

Diese Fragen sind mit Unsicherheiten und Zweifeln verbunden, die ich vorher nie an mir wahrgenommen hatte, jedenfalls nicht bewusst. Wozu auch? Lange Zeit schien die Situation klar und eindeutig: Als Kernpädophiler würde es niemals eine Form von ausgelebter Sexualität für mich geben, damit hatte ich mich längst abgefunden. Mir war immer bewusst, dass dieser Weg mit viel Verzicht und Entbehrungen verbunden sein würde. Auf der anderen Seite, das merke ich heute im Rückblick, war es auch ein sehr sicherer Weg, der mich vor den Ängsten und schmerzhaften Fragen verschont hat, denen ich mich jetzt stellen muss, seitdem ich meine Erwachsenensexualität entdeckt habe.

Vermutlich hat alles seinen Preis: Der Preis der (ausschließlichen) Pädophilie ist, dass man seine Sexualität nicht ausleben kann und niemals sexuelle Erfüllung findet. Dafür muss man sich auf der anderen Seite nicht der Gefahr von Enttäuschung und Zurückweisung bei der Partnersuche aussetzen. Die Erwachsenensexualität bietet dagegen ‒ zumindest potentiell ‒ die Möglichkeit einer real gelebten Partnerschaft mit erfüllter Sexualität. Mit einem Partner, den man nicht nur sexuell attraktiv findet, sondern mit dem man sich (im Gegensatz zu einem Kind) auch menschlich auf Augenhöhe auseinander setzen kann. Doch auch die Erwachsenensexualität hat ihren Preis, den man dafür zahlen muss: In einer realen Partnerschaft muss man nämlich immer damit rechnen, enttäuscht, verletzt und als Mensch in Frage gestellt zu werden. Das auszuhalten, kann sehr schwer sein.

Das fängt schon damit an, dass kaum jemand seinen Traumpartner auf Anhieb findet, sondern oft nur durch Versuch und Irrtum; nach vielen Anläufen und Bemühungen, die nicht automatisch erwidert werden, sondern genauso gut mit bitteren Ablehnungen verbunden sein können. Selbst in einer bestehenden Partnerschaft herrschen keineswegs nur Glück und Harmonie, sondern auch dort kann es immer wieder zu Konflikten, Meinungsverschiedenheiten und Differenzen kommen, die man aushalten und denen man sich stellen muss. Auch das birgt die permanente Gefahr von Verletzung und Enttäuschung, mit der man leben muss. Oder wie es mein Therapeut ausgedrückt hat: „Eine gewisse Frustrationstoleranz müssen Sie mitbringen, wenn Sie sich der Erwachsenensexualität stellen wollen!“

Die Ängste, die Frustrationen und Selbstzweifel, die mit der Entdeckung der Erwachsenensexualität verbunden sind, hätte ich vor 10 Jahren (in der Anfangszeit von „Schicksal und Herausforderung“) wahrscheinlich noch gar nicht ausgehalten. Die Frustrationstoleranz, von der mein Therapeut sprach, war noch nicht gegeben, weil ich in meiner Persönlichkeit noch nicht gefestigt genug war. Vermutlich brauchte ich den „Schutzraum“ der unauslebbaren Pädophilie, der mich vor den schmerzhaften Aspekten der Erwachsenensexualität abschirmte. Stattdessen bekam ich Aufmerksamkeit und Anerkennung durch meine Website, mit der ich das öffentliche Interesse sicher hatte. Meine Aktivitäten in der Öffentlichkeitsarbeit (Zeitungsinterviews, Fernsehauftritte usw.) waren Balsam für meine Seele; gewissermaßen eine Art „Ersatzbefriedigung“. Doch so schön und wichtig diese Erfahrungen waren: Sie haben vielleicht auch dazu beigetragen, dass ich mich mit den eigentlichen Problemen meines Leben nicht auseinander setzen musste, so kommt es mir heute im Rückblick vor.

Ist Pädophilie wirklich unveränderbar?

Als ich mit „Schicksal und Herausforderung“ an die Öffentlichkeit ging, habe ich mich stets als kernpädophil bezeichnet, all meine Texte sind darauf ausgerichtet und wären ohne die Selbstwahrnehmung als Kernpädophiler nie entstanden. Aus heutiger Sicht mag diese Festlegung verfrüht gewesen sein, andererseits habe ich mich wirklich so erlebt. Für mich gab es bis vor wenigen Jahren keine Erwachsenensexualität, die ich an mir wahrgenommen hätte ‒ geschweige denn den Wunsch, diese Sexualität auszuleben. Dazu die Einschätzung meines Therapeuten: Hätte man mich vor 10 Jahren schon eingehender untersucht, hätte man vermutlich festgestellt, dass auch damals schon Anteile von Erwachsenensexualität da waren, auch wenn sie dermaßen versteckt und verschüttet waren, dass ich sie selbst (noch) nicht wahrnehmen konnte.

Bis vor wenigen Jahren erlebte ich meine Pädophilie als etwas zutiefst Grundlegendes und Unveränderbares, dass für den Rest meines Lebens als feste Größe zu mir gehören würde. Nachdem ich nun selbst erlebt habe, wie sich meine pädophile Präferenz wider Erwarten doch verändert hat; geriet mein ganzes Welt- und auch Selbstbild völlig durcheinander. Wer von der Pädophilie als prinzipiell unveränderbarer Präferenz spricht (vergleichbar mit einer sexuellen Orientierung wie Hetero- und Homosexualität), meint es vermutlich gut und will Verständnis für die tragische Situation pädophil empfindender Menschen zum Ausdruck bringen, die ihre Sexualität niemals ausleben können, ohne dass sie sich dieses Schicksal selbst ausgesucht haben. Die Sensibilisierung für die Lebenssituation pädophiler Menschen (jenseits aller medialen Legenden) ist immens wichtig; dafür bin ich ja als Begründer von „Schicksal und Herausforderung“ stets eingetreten.

Auf der anderen Seite ist es mir heute zu fatalistisch und zu resignativ, wenn man pädophilen Menschen jegliche Möglichkeit zur Weiterentwicklung von vornherein abspricht und sie für alle Zeiten auf den Status Quo festlegt. Prof. Beier spricht von der „neuronalen Verdrahtung“, wenn er erklärt, warum eine pädophile Sexualpräferenz (seiner Meinung nach) für immer und ewig ‒ ohne Chance auf Veränderung ‒ ins Gehirn eingeschrieben sei. Vor fünf Jahren hätte ich das noch in jeder Hinsicht unterschrieben, heute ist meine persönliche Erfahrung eine andere: Eine pädophile Präferenz kann sich durchaus auch im fortgeschrittenen Lebensalter noch verändern, zumindest ist das nicht prinzipiell ausgeschlossen. Deshalb glaube ich heute weniger an Prof. Beiers unveränderbare „neuronale Verdrahtungen“ (das Gehirn ist schließlich keine Maschine), sondern eher an die These von der Neuroplastizität des Gehirns, nach der neuronale Verbindungen sich ein Leben lang weiterentwickeln und ‒ in ständiger Wechselwirkung mit der Umwelt ‒ immer wieder neu strukturieren.

Ich bin aber auch überzeugt, dass sich Veränderungen in der sexuellen Präferenz nicht von außen erzwingen lassen, auch nicht durch eine Therapie. Bei mir kam die Veränderung durch ein Zusammenwirken von inneren Prozessen (persönliche Weiterentwicklung) und äußeren Lebensumständen (z. B. Wohn- und Arbeitssituation) zustande, die man in dieser Art nicht vorhersehen konnte. Es war gewissermaßen das Leben selbst, das diese Entwicklung angestoßen und möglich gemacht hat. Es würde es mich sehr wundern, wenn ich der einzige Mensch sein sollte, der eine solche Entwicklung jemals durchgemacht hat. Meine sexuelle Ansprechbarkeit für Kinder (das sieht mein Therapeut genauso) wird sicher nicht vollständig verschwinden, sondern latent immer in mir vorhanden bleiben. Diese latente sexuelle Ansprechbarkeit durch Kinder ist aber etwas anderes, als wenn man seine gesamte Identität, seine komplette Persönlichkeit über die Pädophilie definiert und sich daneben nichts Anderes vorstellen kann.

Hinwendung zur Erwachsenensexualität

Das Bedürfnis, mein Selbstbild primär über die Pädophilie zu definieren, habe ich glücklicherweise nicht mehr, was ich als große Befreiung erlebe. Die pädophilen (und hebephilen) Fantasien sind zwar immer noch da, aber sie machen (grob geschätzt und je nach Tagesform) noch etwa 20-25% meiner Gesamtsexualität aus. Schon allein deshalb werde ich mich heute nicht mehr über meine Pädophilie definieren, sondern über das, was ich gerne einmal leben möchte ‒ und das ist meine Erwachsenensexualität. Die heutige Diagnose „pädophile Nebenströmung“ hat so gesehen etwas Versöhnliches, da sie meine persönliche Weiterentwicklung nicht als den unerklärlichen Bruch dastehen lässt. Jetzt kann ich besser akzeptieren, dass meine Vergangenheit als Pädophilen-Aktivist kein Irrtum oder gar eine Lebenslüge war, sondern ein realer Teil von mir, der auch heute noch (in abgemilderter Form) in mir steckt. Genauso ist meine heutige Erwachsenensexualität nicht auf eine unerklärliche „Heilung“ zurückzuführen, sondern sie war latent wohl schon lange vorhanden, auch wenn ich sie früher nicht zulassen konnte. Mein Handlungsspielraum ist gewachsen, ohne dass ich meine Vergangenheit negieren muss. Das sehe ich als große Chance für mich!

Unsere sexuellen Vorlieben können wir uns nicht aussuchen, aber was wir aus diesen Vorlieben machen; worauf wir den Fokus legen, das haben wir durchaus in der Hand. Angesichts meiner Entwicklung stehe ich immer noch zu meiner Entscheidung von vor vier Jahren, das Thema Pädophilie ein Stück weit „loszulassen“ und mich vermehrt meiner sich entwickelnden Erwachsenensexualität zuzuwenden, sie zu fördern und auszubauen, wo immer das möglich ist. Denn eins ist klar: Sollte es jemals so etwas wie Partnerschaft und sexuelle Erfüllung für mich geben (was ich mir sehr wünsche), dann kann diese nur im Bereich der Erwachsenensexualität liegen ‒ niemals in der Pädophilie.

Für Erwachsene mit pädophiler Nebenströmung (denen ich mich heute zurechnen muss) wünsche ich mir, dass es Therapiekonzepte gibt, die genau solche Fragen aufnehmen, wie sie mich heute beschäftigen: Wie kann ich trotz meiner Ängste, Unsicherheiten und Selbstzweifel einen Zugang zur Erwachsenensexualität finden? Wie kann ich lernen, diese Fragen und Ängste auszuhalten und trotzdem meinen Weg zu finden? Ein therapeutischer Ansatz, der nur auf Verhaltenskontrolle und Triebdämpfung setzt, mag für Menschen mit kernpädophiler Neigung (sofern es sie in absoluter Reinform überhaupt gibt) richtig sein, aber für Erwachsene mit pädophiler Nebenströmung sind mir solche Ansätze zu eng gefasst. Ich habe mittlerweile einen Therapeuten gefunden, der mich auf meinem Weg unterstützt und genau die Fragen mit mir thematisiert, die für mich wichtig sind. Ich wünsche auch anderen Menschen mit pädophiler Nebenströmung, dass sie ebenfalls eine kompetente Begleitung finden, die auf ihre persönliche Situation abgestimmt ist; die keine übertriebenen Erwartungen forciert, aber auch keine dogmatische Unveränderbarkeit postuliert, wo es gar nicht notwendig ist.

Marco
im Mai 2016

aktualisiert: 24.06.2016