Montag, 22.10.2018

Gedanken zur Liebe

von Gabriel

 

Sonne kann nicht ohne Schein,
Mensch nicht ohne Liebe sein.“

So schnörkellos formulierte es einst Goethe in seinem „Concerto Dramatico“. Und wer würde dieser Aussage des Universalgenies widersprechen wollen? Wer würde von sich behaupten, er könne ohne Liebe sein? Was aber, verehrte Leserinnen und Leser, wenn Sie für immer ohne eine bestimmte Form der Liebe sein müssten? Wenn Sie der Person, die Sie so tief oder innig lieben, ihre Liebe niemals offenbaren dürften, weil sie ihre Liebe noch nicht verstünde? Weil Ihre Liebe sie nur verwirren und ängstigen, ihr gar schaden würde? Was wäre, wenn dieses Gefühl, insofern Sie es denn in Ihrem Innersten zuließen, jeden Tag an ihrem Herzen nagen würde… und ein Stückchen mehr davon verschlänge…

Sie halten diese Gedanken für übertrieben? Für zu pathetisch? – Dann gehören Sie wahrscheinlich zu den beneidenswerten Menschen, die in einer glücklichen Partnerschaft leben, oder die zumindest in der Lage wären, eine solche aufzubauen und zu führen. Ich gehöre zu jener Spezies Mensch, die einen wesentlichen Teil ihrer Liebe niemals leben darf. Ich bin pädophil. Natürlich, jetzt muss der unweigerliche Aufschrei Ihrerseits erfolgen: „Wie bitte?! Der Kerl spricht von Liebe und verlangt auch noch Mitleid?! Wo doch das, was er Liebe nennt, einzig und allein darin besteht, kleine Kinder zu verführen!“

Glauben Sie mir, ich kann Ihre Empörung sogar ein Stück weit nachempfinden. Schließlich werden Ihnen in regelmäßigen Abständen von den Medien Menschen vorgeführt, die sich an Jungen und Mädchen vergreifen. Der Vater, der jahrelang seine Tochter missbraucht. Der Nachbar, der den Kleinen von nebenan in seinen Keller lockt, um sich an ihm zu vergehen. Der Fremde, der das Schulmädchen auf dem Nachhauseweg entführt, vergewaltigt und umbringt.

Diese Bilder schwirren in Ihrem Kopf herum, wenn Sie an Pädophile denken, richtig? Sie produzieren in Ihnen Ekel, Abscheu und Hass! Zu Recht! Auch bei mir, uneingeschränkt. Wie viele dieser Täter wirklich pädophil sind, kann ich Ihnen nicht definitiv sagen. Wissenschaftliche Erhebungen gehen aber davon aus, dass 50%-80% der Sexualstraftäter, die sich an Kindern vergreifen, nicht pädophil sind.

Aber ich möchte mit Ihnen nicht über mögliche Verbrechen diskutieren, die von Pädophilen begangen – oder eben nicht begangen – werden. Ich habe es satt, immer von Tätern und Opfern zu sprechen. Ich habe es satt, mich immer rechtfertigen zu müssen, immer in eine Ecke mit Sexualstraftätern gestellt zu werden! Mir geht es nicht um Sex! Ich weiß, dass Kinder keinen Sex mit Erwachsenen brauchen! Ich halte absolut gar nichts von einer Verschiebung der Schutzaltersgrenze! Und ich spreche mich ausnahmslos gegen jedwede Form von sexuellen Kontakten zwischen Kindern und Erwachsenen aus! Ich möchte von Liebe sprechen. Von wahrhaft tief empfundener Liebe! Und ich möchte Sie einmal bitten, nur ein einziges Mal, meine Perspektive einzunehmen. Ich möchte kein Mitleid, aber ich möchte, dass Sie verstehen, dass viele von uns keine Monster, keine Unmenschen sind, sondern dass auch wir unter unserem Schicksal, das wir uns nicht ausgesucht haben, leiden.

Vor ungefähr eineinhalb Jahren habe ich mich in ein Mädchen, das damals neun Jahre alt war, verliebt. Sie ist die Tochter von Freunden. Sie ist das bezauberndste Geschöpf, das ich je gesehen habe: Aufmerksam, interessiert, klug, kreativ, phantasievoll, witzig… Gerne würde ich sie näher beschreiben, sowohl äußerlich, als auch bezüglich weiterer charakterlicher Attribute. Aber da haben wir schon ein Dilemma: die Geheimhaltung. Details könnten ihre Identität und somit auch meine wahren Gefühle für sie verraten. Eigentlich spielen weitere Details auch keine Rolle. Ich hoffe aber, Ihnen zu Verstehen geben zu können, dass ich für dieses Mädchen das Gleiche empfinde, wie Sie, verehrte Leserin oder verehrter Leser, für eine Frau oder einen Mann empfinden.

Bevor ich einschlafe, gilt mein letzter Gedanke ihr und sie ist die erste Person, an die ich morgens nach dem Aufwachen denke. Für sie gäbe ich meine Seele – für sie würde ich sterben… Und das, obwohl es eine unerwiderte Liebe ist. Ich weiß, dass kleine Mädchen nicht diese Art von Liebe für Erwachsene empfinden können. Ich weiß, dass sie mich anders wahrnimmt, als ich sie. Ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass es niemals eine Liebesbeziehung zwischen uns geben wird UND geben darf! – Trotzdem liebe ich sie.

Der größtmögliche Beweis meiner Liebe zu ihr besteht darin, sie vor meinen pädophilen Gefühlen zu beschützen, weil ich sie logischerweise damit überfordern würde. Ich verzichte ihr zuliebe gern und bereitwillig auf das Ausleben meiner Emotionen; Emotionen, die dem Mädchen, dass zu schützen ich mir geschworen habe, nur schaden würden. Sie ist noch ein Kind. Und sie soll aufwachsen wie ein Kind. Unbeschwert. Ohne einen idiotischen Erwachsenen, der sie belästigt.

Ich begnüge mich mit ihrer „Freundschaft“. Was heißt eigentlich begnügen? Ihre Freundschaft bedeutet mir ALLES! Sie hat mich gern, weil ich an ihrem Leben interessiert bin. Weil ich an Dingen, die ihr wichtig sind, partizipiere. Weil ich als Freund der Familie auch am Familienleben teilnehme.

Wenn wir zusammen sind, quatschen wir viel über Gott und die Welt. Denken uns verrückte Dinge aus… oder vielmehr lasse ich sie denken, denn sie ist soviel einfallsreicher als ich. Wir spielen gemeinsam. Wir lachen. Wir musizieren. Mit ihr verstehe ich, was Goethes Faust meinte, als er sagte: „Werd ich zum Augenblicke sagen: // Verweile doch! Du bist so schön! // Dann magst du mich in Fesseln schlagen, // dann will ich gern zugrunde gehn!“

Sie denken, dass ich übertreibe? Vielleicht. Ja, es muss ja so sein! Wie kann man ein Mädchen dieses Alters wirklich lieben, wenn doch diese Liebe einseitig verläuft? Wenn doch dieser Kontakt nur aus „Kinderkram“ besteht? Wie kann ich Ihnen beweisen, dass es mir nicht um Beeinflussung, nicht um Verführung, nicht um Sex geht? Ich habe keine Ahnung, warum unser Leben so sexualisiert sein muss. Meines ist es nicht. Ich bedaure das auch nicht. Und ich liebe „Kinderkram“! Ja, ich bin vielleicht falsch „gepolt“. Sehr wahrscheinlich sogar…

Wissen Sie, was ich wirklich bedaure? Dass es für mich nie einen „verweilenden Augenblick“ geben wird… Das Mädchen, das ich so hoffnungslos liebe, wird sich immer schneller verändern. Äußerlich. Charakterlich. Vielleicht bleiben wir Freunde. Vielleicht bin ich schon in einem Jahr uninteressant. Wer kann genau sagen, was die Pubertät bringen wird? Irgendwann wird sie den ersten Jungen treffen, der ihr zeigen darf, dass er sie liebt und – wie sehr er sie liebt. Falls ich dann davon erfahre, werde ich ihr alles Gute wünschen. Und innerlich sterben.

Aber das ist noch nicht alles. Ich werde immer wieder Menschen, die mir eigentlich wichtig sind, belügen, vor ihnen einen wesentlichen, vielleicht sogar einen entscheidenden, Teil meines Ichs verbergen müssen. Denn eines ist sicher: Wüssten meine Freunde, d.h. in diesem Fall, die Eltern des Mädchens, dass ich es liebe, würden sie sofort den Kontakt unterbinden. Wenn nicht noch Schlimmeres geschähe…

Schauen wir einer bedauernswerten Wahrheit ins Auge: In meinem Leben wird es wohl leider immer wieder Mädchen geben, die mich faszinieren werden. Vielleicht nicht so wie dieses eine… Aber doch werde ich immer wieder ähnliche Situationen erleben müssen. Ich werde niemals sagen dürfen, was ich fühle. Werde Nähe immer nur bis zu einem gewissen Punkt zulassen dürfen. Werde irgendwann ein lächerlicher alter Mann sein, der mit kleinen Mädchen spielt. Glauben Sie mir: Ich würde gerne mit Ihnen tauschen.


© Gabriel 2009

aktualisiert: 01.11.2011