Darf man so etwas veröffentlichen?
von Marco
13. März 2010: Die WELT ONLINE veröffentlichte in ihrer heutigen Ausgabe einen Beitrag des österreichischen Schriftstellers Josef Haslinger, den die Redaktion selbst als „Grenzüberschreitung“ bezeichnet, weil er „provoziert und Gefühle verletzen könnte“, wie es im Einleitungstext heißt:
Haslinger beschreibt, wie er als 12-Jähriger in einer katholischen Klosterschule von seinem Religionslehrer missbraucht wurde, der sich für seinen „kleinen Penis interessierte“.Die sexuellen Übergriffe hätten ihn irritiert, gleichzeitig hätte er sie aber als eine Art „Auszeichnung“ empfunden. Aus kindlicher Neugier habe er mitgemacht, obwohl er sich durchaus hätte zur Wehr setzen können. Als hochgradig anstößig dürften auch Haslingers Aussagen über pädophile Missbrauchstäter verstanden werden: Er sehe ein, dass die Gesellschaft „ihnen keinen Freibrief ausstellen könne“, beschreibt sie aber auch als „weitaus weniger egoistisch, als man sich das gemeinhin vorstellt“. Im Nachhinein fühle er sich „ausgenutzt, aber durchaus auch ernst genommen“. Haslinger warnt vor einer Hexenjagd im Umgang mit pädophilen Tätern. Das Strafrecht allein könne das Problem nicht lösen, stattdessen fordert er mehr Prävention, denn: „Am besten schützt man die Kinder, indem man den Pädophilen hilft, mit ihrer gesellschaftlich nicht gut integrierbaren Neigung auf eine Weise zurande zu kommen, die nicht das Strafgesetz berührt.“
Für seine provozierenden Aussagen wird Haslinger bestimmt auch bei anderen Missbrauchsopfern auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. Trotzdem finde ich es extrem mutig von der Welt ONLINE, ausgerechnet in der aktuellen Diskussion einen solchen Beitrag zu veröffentlichen, der in der Tat grenzwertig ist und leicht als Verharmlosung von sexuellem Kindesmissbrauch verstanden werden kann ‒ und ganz sicher auch so verstanden wird. Mir ist auch klar, dass die radikale Pädophilen-Szene auf solche Beiträge geradezu lauert, um sie für sich auszuschlachten und als Argument für die angebliche Schadlosigkeit sexueller Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern ins Feld zu führen. Wenn schon ein ehemaliges Opfer bezeugt, die sexuellen Kontakte hätten ihm nicht geschadet, er hätte sie sogar als „Auszeichnung“ empfunden, was bitteschön sollte dann an solchen Kontakten verwerflich sein? Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich teile diese Argumentation in keinster Weise, aber sie wird kommen und deshalb muss man darauf vorbereitet sein.
Genau wie die Redaktion der WELT Online bin ich jedoch der Meinung, dass man so einen Beitrag abdrucken darf und auch abdrucken sollte, denn jedes Opfer hat ein Recht darauf, gehört zu werden ‒ egal, wie es seine Erfahrungen im Nachhinein bewertet. Ich persönlich sehe die Aussagen von Josef Hasslinger auch nicht als Argument, Sex mit Kindern in irgendeiner Weise zu befürworten oder gar zu legalisieren. Er selbst mag den Missbrauch durch seinen Religionslehrer vergleichsweise gut und ohne bleibende Schäden überstanden haben. Dann hat er einfach großes Glück gehabt, denn Tausende von anderen Opfern können das nicht von sich behaupten. Sie haben massiv gelitten und zum Teil schwerste Traumatisierungen davon getragen, unter denen sie für den Rest ihres Lebens leiden müssen. Das wird auch ein Josef Haslinger wissen.
Sexuelle Interaktionen zwischen Kindern rund Erwachsenen bergen immer das Risiko einer nachhaltigen und lebenslangen Traumatisierung beim Kind. Diese Tatsache ist durch unzählige Beobachtungen bestätigt worden und und gilt als empirisch belegt, auch wenn die radikale Pädophilen-Szene das immer wieder abstreitet. Es ist zwar richtig, dass es immer einzelne Kinder gab, die sexuelle Grenzverletzungen vergleichsweise gut für sich verarbeiten konnten. Die Regel ist das aber ganz sicher nicht, und deshalb ist Sex zwischen Kindern und Erwachsenen abzulehnen ‒ und zwar grundsätzlich und unter allen Umständen! Daran ändern auch die Worte eines Josef Haslingers nichts, so provozierend und anstößig sie auch sein mögen.
Meine volle Zustimmung hat Haslinger allerdings, wenn er mehr Präventionsprojekte für Menschen mit pädophiler Neigung fordert, denn wie er richtig erkannt hat: Das Strafrecht allein wird das Problem nicht lösen ‒ und eine Gleichsetzung von pädophil empfindenden Menschen mit Verbrechern erst recht nicht. Es sollte aber nicht Aufgabe von Missbrauchsopfern sein, sich für mehr Täterprävention einzusetzen. Hier sind wir als Pädophile selbst gefordert, entsprechende Therapieangebote für uns einzufordern.