Montag, 22.10.2018

TV-Kritik: Der Kinderfreund


von Marco
 

14. Juni 2007: Die Folge „Der Kinderfreund“ aus der Fernsehreihe „Bloch“ wurde mit Spannung erwartet und bekam schon im Vorfeld hervorragende Kritiken. Angekündigt wurde der Beitrag als der erste Fernsehfilm, der sich in differenzierter und anspruchsvoller Weise mit dem Thema Pädophilie befasst.

Gestern Abend um 20.15 Uhr in der ARD war es so weit: Dieter Pfaff als Psychotherapeut Dr. Maximilian Bloch beobachtet den pädophil empfindenden Lehrer Michael Liebknecht (Fabian Hinrichs), wie er seiner 12-jährigen Schülerin (Chantel Brathwaite) gefährlich nahe kommt. Der resolute Therapeut stellt den verunsicherten Pädagogen zur Rede, der sich kurz darauf in Blochs Praxis einfindet und um eine Therapie bittet.

Vor diesem Hintergrund baut sich eine dichte und beklemmende Atmosphäre auf; man spürte das Bemühen, sich dem hochsensiblen Thema in einer differenzierten und seriösen Weise zu nähern. Im Mittelpunkt der einfühlsam porträtierte Lehrer Michael Liebknecht: Ein zermürbter junger Mann, immer hin- und hergerissen zwischen Gefühl und Verstand, Begehren und Gewissen. Diese innere Zerissenheit eines Pädophilen, seine Verzweiflung und sein Selbsthass, all das wurde durchaus realistisch dargestellt.

Auch sonst war ich angenehm überrascht, mit welcher Sensibilität man sich diesem Thema gewidmet hat. Wenn im Fernsehen vom „Pädophilen“ die Rede ist, dann normalerweise nur als psychopathischer Kindermörder. Es wurde Zeit, dass diese unerträgliche Einfalt endlich einmal durchbrochen wurde. Ein Vorhaben, das dem Film gelungen ist. Statt des eiskalten Psychopathen wurde ein Mensch präsentiert, der sich seiner Probleme bewusst ist und bereit ist, Hilfe anzunehmen. Auch wenn der Zuschauer auf viel falsche Fährten gelockt wurde: Lehrer Liebknecht wurde am Ende nicht zum Täter, sondern zeigt sich einsichtiger denn je und beginnt eine Sexualtherapie. Also Ende gut, alles gut? Mitnichten, denn der Film bietet keine einfachen Lösungen, sondern macht deutlich, dass dem Lehrer noch ein langer und schwerer Weg bevorsteht.

In einem Punkt bleibt allerdings ein bitterer Nachgeschmack zurück. Auch wenn es hart klingt, aber Lehrer Liebknecht hat seine Grenzen eben nicht immer eingehalten. Es kam zwar niemals zum Sex mit der 12-Jährigen Marlene, dennoch hat er sich der Schülerin in eindeutig sexueller Weise genähert und damit eine Grenze überschritten, die man als Pädophiler nicht überschreiten darf. Ganz davon abgesehen, dass er in grober Weise gegen seinen Berufsethos verstoßen hat. Sicher: Liebknecht hat sich seinem Problem gestellt und rechtzeitig die Kurve gekriegt, aber letztendlich nur auf Druck von außen.

Da hätte ich mir eher einen Pädophilen gewünscht, der seine Grenzen kennt und einhält. Einen, der auf unverfängliche und rein freundschaftliche Weise mit Kindern umgeht, dem dafür aber sein innerer Leidensdruck zu schaffen macht. Die unausweichliche Gewissheit, seine Gefühle niemals leben zu können, dazu der ständige Zwang, sich verbergen und verstecken zu müssen – all diese Dinge sind für viele Betroffene eine große Belastung. Diese Seite hätte man ruhig noch stärker thematisieren können, denn sie ist für die Betroffenen mindestens genauso bedeutsam wie der ständige Kampf, niemals zum Täter zu werden. So aber wurde letztlich doch wieder (wenn auch ungewollt) das Vorurteil vom unbeherschten Pädophilen bestätigt, der – zumindest unbehandelt – irgendwann eine Grenze überschreiten muss.

Kritisch anzumerken ist auch, dass Lehrer Liebknecht in seinem Habitus eher dem regressiven Tätertyp entspricht und nicht so sehr dem Kernpädophilen. Deutlichstes Indiz war Liebknechts eigene Aussage, dass seine pädophilen Phantasien erst im Laufe der Ehe aufgetaucht sind; wogegen ein wirklich Pädophiler sich von Pubertät an zu Kindern hingezogen fühlt. Eine fachliche Ungenauigkeit, die man einem Unterhaltungsfilm aber verzeihen kann. Ich persönlich konnte mich in der Figur des Lehrers allerdings nicht wiederfinden.

Sehr gelungen dagegen die Szene am Kaminfeuer, wo Liebknecht von seinen sexuellen Phantasien erzählt und vom Therapeuten zum Perspektivwechsel animiert wird. Für mich die Schlüsselszene des gesamten Films, denn hier wird deutlich, was jeder Pädophile lernen muss, nämlich die Fähigkeit, sich in die Lage des Kindes hinein zu versetzen. Solchen sehr realistischen Szenen stehen aber einige auffallend überzogene Darstellungen gegenüber. Dieter Pfaff in seiner Rolle als Dr. Bloch z. B. dürfte wohl kaum dem wahren Berufsbild eines Psychotherapeuten entsprechen. Welcher Therapeut spioniert schon seinem Patienten hinterher und streift nachts durch einsame Wälder, um ihn zu suchen? So etwas passt zu einem Privatdetektiv, aber nicht zu einem Psychotherapeuten. Triebdämpfende Medikamente würde ein wirklicher Therapeut auch erst nach eingehender Diagnose verschreiben, anstatt mal eben schnell in die Schublade zu greifen.

Am Ende driftete der Film allzu sehr ins Triviale ab, die Handlung wurde immer vorhersehbarer. Reichlich überzogen vor allem der actionreiche Showdown in der nächtlichen Waldhütte, auch wenn man so einem Film natürlich einen Spannungshöhepunkt zugestehen muss. All diese Schwächen taten dem seriösen Anspruch aber letztendlich keinen Abbruch. Auch den Schauspielern merkte man ihr besonderes Engagement an: Dieter Pfaff in seiner Rolle als eigenwilliger Psychotherapeut war ebenso überzeugend wie Fabian Hinrichs als pädophiler Lehrer oder Eva Löbau als ratlose Ehefrau. Ein besonderes Lob geht auch an Jungschauspielerin Chantel Brathwaite, die ihre Rolle als 12-Jährige Marlene absolut glaubwürdig gespielt hat.

Trotz einiger Schwächen und der einen oder anderen fachlichen Ungenauigkeit war es ein unterhaltsamer und sehr sehenswerter Film, der seinem seriösen Anspruch im Großen und Ganzen gerecht geworden ist. Dafür gebührt den Autoren, wie auch dem Regisseur und den Darstellern großer Dank. Man kann sich nur wünschen, dass auch andere Fernsehsender den Mut finden, das Thema in ähnlich differenzierter Weise anzugehen. Der Sache selbst kann es nur gut tun!

aktualisiert: 30.04.2011