Montag, 22.10.2018

Auf Pädophilenjagd?


von Marco


5. September 2008:
Am vergangenen Wochenende gab es in der Süddeutschen Zeitung einen ausführlichen Artikel über die Kinderpornographie-Fahnder beim bayerischen Landeskriminalamt:

Auf Pädophilenjagd im Netz

Zunächst das Positive: Auch wenn der Artikel vergleichsweise kurz ist, hat er Einiges zu bieten; er ist spannend, faktenreich und informativ. Der Reporter fängt die Atmosphäre im Landeskriminalamt gut ein, lässt den Leser hautnah mitverfolgen, wie die bayerischen Fahnder die Licht- und Schattenseiten ihres Berufes erleben. Störend ist allerdings die ständige Gleichsetzung von Kinderpornographie-Konsumenten mit „Pädophilen“, die sich durch den ganzen Artikel zieht. Das fängt mit der reißerisch aufgemachten Überschrift („Auf Pädophilenjagd im Netz“) an, geht über die anonym sich im Internet tummelnden „Pädophilen“ bis hin zu der triumphalen Behauptung, bei der kürzlich stattgefundenen „Operation Smasher” sei „etwa 1200 Pädophilen“ das Handwerk gelegt worden.

Solche Formulierung müssen beim Durchschnittsleser fast zwangsläufig den Eindruck aufkommen lassen, Pädophile und die Konsumenten von Kinderpornographie wären eins. Sexualwissenschaftlich ist dieses Feld zwar noch wenig erforscht, aber man weiß heute, dass die meisten Kinderpornographie-Konsumenten wohl tatsächlich pädophil sind. Das berechtigt aber nicht zu dem verführerischen Umkehrschluss, dass ein Pädophiler immer auch Kinderpornographie konsumiert oder sogar selbst Kinder missbraucht. Durch die Wahl der Formulierungen wird beim uninformierten Normalbürger aber genau dieser Eindruck vermittelt. Ich behaupte nicht, dass dies bewusst geschieht, trotzdem ärgert es mich, denn diese Tendenz findet man praktisch überall in der öffentlichen Berichterstattung.

Darüber hinaus weiß man heute auch, das selbst die Nutznießer von Kinderpornographie nicht zwangsläufig pädophil sein müssen. Einige suchen einfach nur den „Reiz des Neuen” oder den „ultimativen Kick”, der ihnen ein wenig Abwechslung in ihrem langweiligen Sexualleben verspricht. Ein wie auch immer geartetes Unrechtsbewusstsein haben sie dabei nicht. Das ist zwar nicht weniger verwerflich, hat aber mit Pädophile im eigentlichen Sinn (primäre sexuelle Erregbarkeit durch vorpubertäre Kinderkörper) nichts zu tun. Vor diesem Hintergrund gibt es keine Rechtfertigung, die Konsumenten von Kinderpornographie ausnahmslos und ohne jede Differenzierung als „Pädophile“ zu bezeichnen ‒ vor allem dann nicht, wenn die genauen Hintergründe nicht kennt. Unter den 1200 kürzlich ausgemachten Kinderporno-Konsumenten werden mit Sicherheit auch etliche sein, sie nicht im eigentlichen Sinn pädophil sind. Für die Medien in ihrem notorischen Vereinfachungswahn sind auch das einfach nur „Pädophile“, weil sich niemand die Mühe macht, genauer hinzusehen.

Ist es letztendlich nicht völlig egal, aus welchem Motiven heraus sich jemand Kinderpornographie beschafft? Die Motivation der Täter hat schließlich keinen Einfluss auf das Leid der missbrauchten Kinder ‒ und ein Strafminderungsgrund oder gar eine Entschuldigung ist eine pädophile Präferenz auch nicht. Das wäre für mich ein Grund mehr, die tatsächliche oder vermeintliche Pädophilie der Täter nicht immer so in den Vordergrund zu rücken, sondern viel stärker danach zu fragen: Was richten sie mit ihrem Verhalten eigentlich an?

Ganz abgesehen davon, das auch die Konsumenten von Kinderpornographie nichts für ihre pädophile Ausrichtung können. Einen Vorwurf darf man ihnen nur für das machen, was sie tun ‒ in diesem Fall den Besitz von Kinderpornographie ‒ nicht aber für ihre sexuelle Präferenz. Für ihre sexuellen Vorlieben können sie nichts, und auch strafrechtlich spielen sie (glücklicherweise!) nicht die geringste Rolle. Somit ist es auch nach rechtsstaatlichen Maßstäben nicht statthaft, ihnen für ihre Pädophilie einen Vorwurf zu machen oder gar darauf herum zu reiten. Das einzig maßgebende ist die moralische Verwerflichkeit ihres Handelns: Durch die Abnahme kinderpornographischen Materials kurbeln sie einen Markt an, der mit der sexuellen Misshandlungen von Kindern aller Altersgruppen (bis hin zu Säuglingen) seinen Profit verdient. Die Konsumenten solcher Bilder sind es, die mit ihrer Nachfrage die brutale Misshandlung weiterer Kinder in Auftrage geben ‒ während sie bequem zu Hause im Sessel sitzen und sich damit herausreden, man würde sich ja „nur” Bilder ansehen. Auf diese zynische Argumentation muss man sie festnageln ‒ ob sie nun pädophil sind oder nicht, ist völlig nebensächlich.

Festhalten lässt sich, dass es zwar einen mittelbaren Zusammenhang gibt zwischen einer pädophilen Ausrichtung und dem Konsum von Kinderpornographie, aber keine unmittelbare Kausalität. Genau diese Kausalität suggerieren uns die Medien aber immer wieder, und ich frage mich: Warum? Können es die Journalisten nicht besser, oder wissen sie es nicht besser?

Zurückkommend auf die Artikelüberschrift: „Auf Pädophilenjagd im Netz“ kann man also ganz klar konstatieren: Diese Aussage ist schlicht und einfach falsch. Richtig ist: Niemand im bayerischen LKA macht Jagd auf Pädophile. Albert Bischeltsrieder und Kollegen jagen Straftäter, die sich Kinderpornographie herunter laden ‒ oder sogar selbst Kinder missbrauchen. Einige von diesen Tätern werden pädophil sein, andere nicht. Die Fahnder im LKA dürfte das nicht weiter interessieren, denn ihr Auftrag ist es, Straftäter zu ermitteln und nicht, sexuelle Präferenzen zu verfolgen.

Es wäre schön, wenn man auch bei der Süddeutschen Zeitung (und anderen Nachrichtenredaktionen) gelegentlich versucht, sich diese doch relativ simplen Zusammenhänge einmal zu Gemüte zu führen. Die Presse ist zwar grundsätzlich frei in ihrer Berichterstattung, aber eine journalistische Sorgfaltspflicht gibt es allemal.

aktualisiert: 30.04.2011